Gelebte Inklusion auf der Mörlialp

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Eine grosse Schar Primarschülerinnen und Primarschüler geniesst einen der Sunrise Snow Days. Auch für zwei Kinder mit einer Beeinträchtigung wird der Tag im Schnee zu einem unvergesslichen Erlebnis.

Der Daumen geht hoch, aus dem Gesicht lässt sich Vorfreude ablesen. Jakob sitzt im Dualbob, gut eingepackt und bereit, einen Skitag zu geniessen. Der Zehnjährige ist nicht allein unterwegs auf der Mörlialp: Der Skilehrer Diego Edelmann steuert den Dualbob, Swiss-Ski hat ihn für diese Aufgabe engagiert. Jakob gehört zu einer Gruppe von Primarschülerinnen und Primarschülern aus Affoltern am Albis, die das Klassenzimmer verlassen haben und unbeschwerte Stunden auf den Pisten hoch über Giswil im Kanton Obwalden verbringen.

Für viele Kinder sind Sportarten wie Ski Alpin oder Snowboard ein fixer Bestandteil des Winters, sei es an einzelnen Tagen oder in den Ferien. Aber es gibt auch solche, die noch nie damit in Berührung gekommen sind. Gerade ihnen soll die Möglichkeit geboten werden, sich dem Skifahren oder Snowboarden anzunähern.

Swiss-Ski veranstaltet über 120 Sunrise Snow Days, die dank Main Partner Sunrise und diversen weiteren Partnern an 15 Destinationen in der Schweiz zu günstigen Konditionen stattfinden können. Wer die eigene Ausrüstung mitbringt, bezahlt nur 25 Franken, andernfalls betragen die Kosten für den ganzen Tag inklusive Schneesportunterricht, Tageskarte, Mittagessen und Anreise im Car 35 Franken. Gebiete wie die Mörlialp eignen sich perfekt, erst recht, weil vor Ort erfahrene Leute für einen reibungslosen Ablauf sorgen. Marcel Frangi, der Eigentümer der Ski- und Snowboardschule, und sein Team sind für den Ansturm gerüstet. Ein Sunrise Snow Day von Swiss-Ski ist für ihn und seine Skilehrerinnen und Skilehrer «eine dankbare Arbeit», wie er sagt.

Eine 20-jährige Erfolgsstory

Die Sunrise Snow Days starteten vor 20 Jahren in überschaubarem Rahmen als «Schneespasstage» mit 160 Teilnehmenden aus Olten und Thun. Inzwischen werden während einer Saison rund 8000 Kinder aus etwa 40 Ortschaften bewegt – Kinder, die mehrheitlich nicht in der Nähe eines Skigebiets leben. «Das Interesse an unserem Angebot hat laufend zugenommen», sagt Tanja Uhlmann, die Projektverantwortliche von Swiss-Ski. Die Feedbacks seien enorm positiv. «Praktisch alle Schulen und Gemeinden melden zurück, dass sie im Jahr darauf wieder dabei sein möchten.»

Das Interesse am Wintersport wecken, den Breitensport fördern, Spass haben – das sind die Ziele, die an den Sunrise Snow Days verfolgt werden. Auf der Mörlialp geht es noch um mehr: um Inklusion. Jakob ist querschnittgelähmt und auf einen Rollstuhl angewiesen. Seit vergangenem Sommer besucht er in Affoltern am Albis die Regelklasse, mit der er trotz körperlicher Beeinträchtigung auch den Sportunterricht absolviert, so gut das geht. Also ist es selbstverständlich, dass er eines der 125 Kinder ist, die in drei Cars auf die Mörlialp reisen, um dort Schwünge in den Schnee zu zaubern.

Grosse Hilfsbereitschaft

«Man kann lange über Inklusion reden. Entscheidend ist doch, dass man sie lebt», sagt Thomas Pfiffner, einer von Jakobs Lehrern und eine der Begleitpersonen am Skitag. Pfiffner erzählt aus dem Schulalltag, der manchmal herausfordernd sein möge, aber immer wieder bereichernd sei. Für die anderen Kinder ist Jakob ein Gspänli, um das sie sich kümmern. «Wenn in irgendeiner Situation Unterstützung gebraucht wird, eilen sofort fünf, sechs herbei und helfen.»

Die Schülerinnen und Schüler verteilen sich auf mehrere Gruppen. Da sind jene, die sich behutsam ans Skifahren herantasten und zuerst einmal lernen, auf Ski zu stehen. Dort sind jene, die mit Leichtigkeit am Skilift den Bügel übernehmen und kurz darauf Kurven in den Schnee ziehen. Mittendrin: Jakob mit Diego Edelmann, der dem jungen Passagier mit seiner Routine das Gefühl von Sicherheit vermittelt. «Alles klar, Jakob?», fragt er nach einer Fahrt. Die Antwort: ein Lächeln und zwei in die Luft gereckte Daumen. Jakob klatscht mit Diego Edelmann ab wie mit einem Kumpel. Es ist ein Bild, das mehr sagt als jedes Wort.

Am Mittag sitzt Jakob im Rollstuhl inmitten seiner Kolleginnen und Kollegen beim Essen. Wie sehr ihn der Morgen begeistert hat, beschreibt seine Mutter später in einer Nachricht an Oliver Froelicher von Swiss-Ski, den Zuständigen für den Tag auf der Mörlialp. Ihr Sohn freue sich jetzt schon auf die nächste Gelegenheit, Ski zu fahren.

«Keine Alibi-Geschichte»

Am Nachmittag überlässt Jakob den Dualbob, den eine Privatperson kostenlos zur Verfügung gestellt hat, der 13-jährigen Mehjabin. Die kleinwüchsige Sechstklässlerin ist kribbelig. Wie es sich wohl anfühlt, einen Hang hinabzusausen? Mehjabin setzt ihre Sonnenbrille auf und signalisiert Diego Edelmann, dass es losgehen kann. 

Dass das Mädchen mit Wurzeln in Bangladesch auf der Mörlialp dabei ist, stand nie in Frage. «Sie ist voll integriert und gehört natürlich dazu», sagt Patrick Oberholzer, Heilpädagoge in Affoltern am Albis. «Für uns ist Inklusion keine Alibi-Geschichte. Wenn die Kinder am anderen Tag von den Erlebnissen im Schnee erzählen, soll auch Mehjabin mitreden können. Teilhabe ist ein sehr wichtiger Aspekt.»

Die Frage, wie sich das Skifahren für Mehjabin anfühlt, erübrigt sich eigentlich. Sie sitzt nicht einfach im Dualbob, sondern macht mit dem Oberkörper Bewegungen, die ihrem Steuermann Diego Edelmann signalisieren, in welche Richtung der nächste Schwung gehen soll. «Es hat mega Spass gemacht», sagt Mehjabin, als es auf das Ende des Skitags zugeht. «Ich wäre gerne noch länger gefahren.»


Sunrise Snow Days

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Dieser Artikel ist im «Snowactive» ersterschienen, dem Verbandsmagazin von Swiss-Ski.

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