Norwegische Impulse auf Schweizerdeutsch

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Foto: Keystone-SDA

Sie wuchs in Norwegen auf, spricht fliessend Schweizerdeutsch, denkt und träumt auf Norwegisch, nahm für die Schweiz vor sechs Jahren an der Leichtathletik-EM teil – und ist nun Trainerin der Schweizer Langlauf-Frauen: Karoline Bråten Guidon.

Nicht immer erschliessen sich die Fortschritte eines Teams auf den ersten Blick – so beispielsweise bei der Schweizer Langlauf-Equipe der Frauen. Etwas abseits der breiten öffentlichen Aufmerksamkeit gelang es in der abgelaufenen Saison jedoch zahlreichen Athletinnen wie Nadja Kälin, Alina Meier oder Désirée Steiner, mit persönlichen Bestresultaten auf Weltcup-Stufe aufzuwarten. Für diese Erfolge massgeblich verantwortlich zeichnet Karoline Bråten Guidon, die Tochter der dreimaligen norwegischen Olympia- Medaillengewinnerin Anita Moen und des ehemaligen Engadiner Weltcup-Langläufers Giachem Guidon.

«Durch ihren Umgang mit den Athletinnen und mit ihrer Trainingsphilosophie macht Karoline das gesamte Umfeld besser», spart Guri Knotten, die Nordisch- Direktorin von Swiss-Ski, nicht mit Lob für die 32-Jährige. «Mit ihrer Arbeit strebt sie nicht primär kurzfristige Erfolge an, sondern nachhaltige Wirkungen. Sie hat als Trainerin die langfristige Entwicklung im Blick.» Seit der Saison 2023/24 ist Karoline Bråten Guidon für die Schweizer Weltcup-Langläuferinnen verantwortlich. Zuvor hatte sie während zwei Jahren das Langlauf-Team Liechtensteins trainiert und dieses an die Olympischen Spiele 2022 nach Peking begleitet. Kurz nach jenem Highlight in China folgte eine erste Kontaktaufnahme durch Swiss-Ski, ein Jahr später waren ihr Wechsel und derjenige ihres Gatten Erik Bråten, der bei den Männern wirkt, zum Schweizer Langlauf-Team Tatsache.

Qualität vor Quantität

Karoline Bråten Guidons oberste Trainingsmaxime ist es, die Qualität stets hochzuhalten. «Lieber anderthalb Stunden auf sehr hohem Trainingsniveau als zwei Stunden mit durchschnittlicher Qualität», so die schweizerisch-norwegische Doppelbürgerin, die zudem grossen Wert darauf legt, die Trainingsplanung in engem Austausch mit ihren Athletinnen abzustimmen und beim Krafttraining den Fokus hin zum Oberkörper sowie Rumpf und weg von den Beinen zu legen. «So wie sich der Langlauf aktuell entwickelt, gewinnt ein starker Oberkörper insbesondere bei den Frauen enorm an Bedeutung», ist Bråten Guidon überzeugt.

Guri Knotten beschreibt das Auftreten ihrer Landsfrau vor dem Team als deutlich und bestimmt, gleichzeitig aber auch als sehr empathisch. «Karoline schafft es, eine gute Balance hinzukriegen. Sie hat sehr rasch ein vertrauensvolles Verhältnis zu ihren Athletinnen und dem Trainer- und Betreuer-Team aufgebaut.» Das im Vergleich zu Norwegen deutlich kleinere Reservoir an potenziellen Top-Athletinnen und -Athleten bedarf intensiver, persönlicher Betreuung.

Bråten Guidon, aufgewachsen in Trysil nahe der schwedischen Grenze, war – mit Blick auf ihre familiäre Herkunft wenig überraschend – ebenfalls als Langläuferin aktiv. Auf Juniorinnen-Stufe zählte sie in ihrem Jahrgang, dem unter anderen auch die mehrmaligen Olympia- und WM-Medaillengewinnerinnen Ragnhild Haga und Heidi Wenig angehören, immerhin zu den Top 20 Norwegens. Dass sie es leistungsmässig nicht bis ganz nach oben schaffen würde, wurde ihr noch während ihrer Zeit am Gymnasium bewusst. Und eine Langlauf-Karriere unter Schweizer Flagge zog sie zu diesem Zeitpunkt aufgrund ihres Wohnorts nie in Erwägung. Zu schaffen machte ihr in jener Zeit zudem der Umstand, dass sie an Wettkämpfen von Aussenstehenden stets als «Tochter von» (Anita Moen und Giachem Guidon) angekündigt und gesehen wurde. «Das war für mich mental sehr schwierig, zumal es in jener Phase der persönlichen Entwicklung geschah, in der man sich selbst zu finden versucht und als eigenständiger Mensch wahrgenommen werden will.»

EM-Marathon für die Schweiz …

Ihren sportlichen Ehrgeiz legte Karoline Bråten Guidon, die nach ihrem Wechsel in die Schweiz zwar viel auf Schweizerdeutsch kommuniziert, aber weiterhin auf Norwegisch denkt und träumt, gleichwohl nie ab. Parallel zum Langlaufen betrieb sie stets Leichtathletik. Ihre Paradedisziplinen waren zunächst die 3000 und 5000 m, ehe sie während des Studiums in Kristiansand aus einer Laune heraus zusammen mit einer Freundin das Ziel ausgab, einmal einen Marathon zu absolvieren. Vater Giachem schwärmte ihr von seinem Marathon-Erlebnis in Berlin vor, worauf sie rasch ihren Trainingsumfang steigerte und die 42,195 km in der deutschen Hauptstadt anvisierte. Von Ingrid Kristiansen, der norwegischen Weltmeisterin von 1987 über 10'000 m und Gewinnerin des New York Marathon 1989, erhielt sie auf dem Laufband wertvolle Inputs.

Karoline Bråten Guidons starke Laufzeiten blieben nicht unbemerkt – und so meldete sich eines Tages Swiss Athletics bei ihr mit der Anfrage, ob sie sich vorstellen könne, an den Leichtathletik- Europameisterschaften 2018 in Berlin für die Schweiz im Marathon an den Start zu gehen. Zusammen mit Martina Strähl und Laura Hrebec erreichte sie dort in der Team-Wertung (beste drei pro Nation) den 5. EM-Rang. «Es war eines der grössten Erlebnisse meines Lebens.» Bråten Guidon blickt noch heute mit einem Lächeln auf die Titelkämpfe in Berlin zurück. Der Traum von einer Olympia-Teilnahme in Tokio platzte indes ein halbes Jahr nach ihrer EM-Premiere aufgrund eines Ermüdungsbruchs im Becken jäh.

… und Langlauf- Hilfe für China

Parallel zum Marathon-Projekt trieb Karoline Bråten Guidon ihre Karriere als Langlauf-Trainerin voran. Nachdem sie in ihrem Klub schon Kinder trainiert hatte, war sie – quasi vom einen auf den anderen Tag – in ein Olympia-Projekt für Peking 2022 involviert. In ihrer Heimat Trysil bereitete sich eine Gruppe von 35 chinesischen Langläufern auf die Olympischen Winterspiele vor. Erst dachte sie, es handle sich um ein rund dreiwöchiges Trainingslager, am Ende verbrachten einige der chinesischen Athleten zweieinhalb Jahre in Norwegen. Bråten Guidon war mehr und mehr in die Trainingsleitung eingebunden, ehe das Projekt aufgrund der Pandemie gestoppt wurde.

Sie folgte schliesslich für zwei Saisons dem Ruf des Liechtensteinischen Skiverbandes, ehe sie nach Olympia in Peking ein Jahr lang als Klub- und Privattrainerin in Norwegen arbeitete. Neben der eigenen Erfahrung als Athletin besitzt Bråten Guidon einen Master-Abschluss in Sportwissenschaften, zudem hat sie ein Jahr Psychologie studiert. Die Athletin respektive der Athlet steht für sie als Trainerin ganzheitlich im Fokus, denn «im Sport spielt sich viel im Kopf ab».

Mittlerweile hat Karoline Bråten Guidon ihre erste Saison als Swiss-Ski-Trainerin absolviert – und darf konstatieren: «Wir sind auf dem richtigen Weg. Fast die gesamte Gruppe konnte im vergangenen Winter ein bis zwei persönliche Bestresultate realisieren.» Sie lobt die gute Kommunikation innerhalb des Teams und den Wert der vielen gemeinsamen Trainingseinheiten mit der Männer-Equipe in Davos. Die Doppelbürgerin («Ich habe das Privileg, die Pässe der beiden lebenswertesten Länder der Welt zu besitzen») blickt überaus zufrieden auf die letzten Monate zurück. Die Basis für die kommenden Jahre ist gelegt – und die Vorfreude auf ihre weitere Tätigkeit in der Heimat ihres Vaters geweckt. Denn bereits in zehn Monaten stehen die nordischen Ski-Weltmeisterschaften an – in Trondheim, in ihrem ersten Heimatland Norwegen.

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Dieser Artikel ist im «Snowactive» ersterschienen, dem Verbandsmagazin von Swiss-Ski.

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