Biathlon-WM-CEO Jürg Capol: «Es gibt keine vorgegebenen Schemata»

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Im Februar 2025 finden auf der Lenzerheide die IBU Biathlon-Weltmeisterschaften statt. CEO und damit operativer Verantwortlicher für diesen sportlichen Grossanlass ist der ehemalige Spitzenlangläufer Jürg Capol. Der 57-jährige Bündner ist seit Mai zuständig für die Planung und Umsetzung der Titelkämpfe 2025 und sämtlicher IBU-Wettkämpfe im Vorfeld, zu denen die Biathlon-EM im Januar nächsten Jahres sowie der Biathlon-Weltcup im Dezember 2023 gehören.

Capol verfügt über einen mit Erfahrungen prall gefüllten Rucksack. Ab 2012 arbeitete der zweifache Olympia-Teilnehmer (1988 Calgary und 1994 Lillehammer) bei der FIS Marketing AG als Nordisch-Direktor und zeichnete zuletzt als FIS Marketing-Direktor für die Vermarktung des internationalen Skiverbandes verantwortlich. Von 2003 bis 2012 war Capol FIS-Renndirektor für Langlauf, davor war der ehemalige Kurdirektor von Silvaplana Marketingchef der alpinen Ski-Weltmeisterschaften 2003 in St. Moritz gewesen.

Im Interview äussert sich Jürg Capol unter anderem zum Stand der Vorbereitungen auf die drei Biathlon-Grossanlässe auf der Lenzerheide, er erläutert die grössten Herausforderungen und erzählt, warum ihn nicht so schnell etwas aus der Ruhe bringt.

Jürg, was würdest du als deine grössten Stärken bezeichnen?

Jürg Capol: Sagen wir so: Es beunruhigt mich nicht so schnell, wenn ich vor einem Berg an Herausforderungen stehe – oder auf Schweizerdeutsch gesagt: wenn ich im "Seich" bin (lacht). Ich bin in der Lage, zwischen Wichtigem und weniger Wichtigem schnell zu unterscheiden und kann die notwendige Energie und Zeit somit gezielt einsetzen. Für einen Event gibt es immer gewisse Indikationen, die man richtig gut erfüllen muss, während andere Dinge nur von einem ganz kleinen Personenkreis überhaupt wahrgenommen werden. Vieles hat letztlich mit Erfahrung zu tun.

Das ist ein gutes Stichwort. Welche sonstigen Fähigkeiten und Erfahrungen helfen dir von deinen früheren Tätigkeiten als Athlet, FIS-Funktionär oder als Kurdirektor in Silvaplana im aktuellen Job?

Wenn man sportliche Grossevents in einer Feriendestination plant, dann will man die Destination respektive die ganze Region beleben und natürlich tolle sportliche Wettkämpfe bieten. Mein Vorteil liegt sicherlich darin, dass ich all dies kombinieren kann. Ich habe eine Athleten-, eine Trainer- und eine Verbandssicht gepaart mit einem touristischen Hintergrund und einer Vermarktungssicht. Ich kenne alle diese Bereiche und habe Erfahrungen anlässlich verschiedener Events sammeln dürfen – in verschiedenen Ländern. Es gibt verschiedene Wege, wie man ans Ziel kommen kann, wobei das Ziel eigentlich immer das gleiche ist: die Durchführung eines tollen Events. Unsere oberste Maxime ist es, die Leute auf den Schnee zu bringen und sie für den Wintersport zu begeistern. Alle drei Biathlon-Veranstaltungen – EM, Weltcup, WM – hat es in der Schweiz bislang noch nie gegeben. Das macht die Sache für mich einfach unglaublich interessant, es gibt keine vorgegebenen Schemata.

Wie lautet dein Zwischenfazit nach den ersten Monaten als CEO der Biathlon-WM 2025?

Als ich mit dem Projekt erstmals konfrontiert wurde, stellte sich schnell heraus: Wir haben ein Platz-Problem, wir haben ein Logistik-Problem und wir haben – vor allem was die WM betrifft – ein Hotel-Problem. Die Parkplätze in der Region sind insbesondere im Skiferien-Monat Februar, wenn die WM 2025 stattfindet, sehr begrenzt. Wir haben ein Bauprojekt, um in der Arena Platz zu schaffen. Ende September wurde durch die Gemeinde Lantsch/Lenz eine Umzonung bewilligt und damit eine neue Bauzone geschaffen. Der erste Schritt diesbezüglich ist gemacht, damit das Projekt überhaupt realisiert werden kann. Unser Ziel ist es, ins bestehende Stadiongelände halb-unterirdisch einen Gebäudekomplex zu errichten, der das Medienzentrum, Verpflegungsräume für Medienschaffende und Voluntari sowie Räume für die Anti-Doping-Stellen beinhaltet. Die Räumlichkeiten könnten später als Seminarräume genutzt werden.

Welches sind die Herausforderungen betreffend Logistik?

Das Logistik-Problem besteht darin, dass kein Ticketing ohne ÖV-Leistung angeboten werden darf, weil zu wenig Parkplätze vorhanden sind. Die Zuschauer müssen mittels Shuttle-Service zur Roland Arena gebracht werden können. Deshalb ist es wichtig, dass im Ticket die Anreise mit ÖV inbegriffen ist – egal ob ich in Bern, Zürich oder St. Gallen in den Zug steige.

Waren solche ÖV-Leistungen nicht bereits bei früheren Events integriert?

Nein, weder bei der alpinen Ski-WM 2003 noch bei jener 2017. Wir sind jetzt aber auch im Sinne der Nachhaltigkeit der Meinung, dass es zeitgemäss ist, dass im Eintrittsticket gleichzeitig auch eine ÖV-Leistung mit dabei ist.

Die EM ist ein Gradmesser für uns als Team. Sie wird aufzeigen, wie fit wir bereits sind.

 

Die Hotellerie hast du als dritten Problem-Punkt erwähnt.

Grundsätzlich sind die Hotels in der Ferienregion Lenzerheide im Februar nicht auf einen Grossanlass wie die Biathlon-WM angewiesen. Die Zimmer füllen sie so oder so. Kommt hinzu, dass Sportteams in der Regel weniger zahlen können und wollen. Es gelang uns nun aber, einige Hotels zum Mitmachen als offizielle WM-Unterkünfte – auch als Investition für ihre eigene Zukunft – zu begeistern. Als ich im Mai angefangen habe, gab es kaum ein Bett für die Teams, mittlerweile sind wir bei rund 600 von 700 benötigten Betten, die zur Verfügung stehen. Erschwert wird das Ganze durch eine Vorgabe des Biathlon-Weltverbandes IBU, die besagt, dass der Höhenunterschied zum Wettkampfgelände nicht mehr als 300 Meter betragen darf. Tiefencastel wäre von der Distanz her nicht so weit weg von der Roland Arena, allerdings liegt das Dorf 400 Meter tiefer als Lantsch/Lenz. Die Teams sind der erste Bereich, den es unterkunftsmässig abzudecken gilt. Hinzu kommen freilich noch all die Medienschaffenden und Fans, die anreisen.

Welche Bedeutung haben die Europameisterschaften im nächsten Januar auf dem Weg zum Weltcup und zur WM?

Die Aufgabe wird laufend bedeutend grösser. Erst die Europameisterschaften, dann nur elf Monate später der erstmalige Weltcup und schliesslich die Weltmeisterschaften im Februar 2025. Ich bin froh, dass wir diesen Weg so gehen können. Unser OK ist neu zusammengesetzt. Bei den bisherigen Anlässen wie IBU Cup und Junioren-Weltmeisterschaften ging es fast ausschliesslich um den Sport und darum, die Wettkämpfe den Vorgaben entsprechend durchzuführen. Andere Sorgen gab es bei diesen kleineren Veranstaltungen keine, auch das öffentliche Interesse hielt sich im Rahmen. Nun denke ich, dass der gesamte Standort eine Aktivierung braucht. Man muss ein Bewusstsein schaffen für den Biathlonsport und diese Arena hier. Wir müssen die Europameisterschaften nutzen, um den Bekanntheitsgrad dieses Biathlon-Standorts innerhalb von Graubünden und in den angrenzenden Regionen zu erhöhen. Von der organisatorischen Seite her sind die Europameisterschaften eine spannende Herausforderung. Wir vom OK sind viele neu, entsprechend gilt es, allfällige Schwachstellen auszumachen und zu beheben. Wir wollen diverse Abläufe üben – Live-Produktionen, Ticketing, Shuttle-Service. Die EM ist ein Gradmesser für uns als Team. Sie wird aufzeigen, wie fit wir bereits sind – auch bei allfälligen Widrigkeiten, die wir nicht beeinflussen können – wie das Wetter. Die EM-Veranstaltung ist eindeutig die kleinste von allen drei – entsprechend wäre auch der Schaden, wenn etwas nicht wie gewünscht funktioniert, am kleinsten. In Bezug auf den Sport respektive die Wettkämpfe habe ich am wenigsten Sorgen, denn dieser Part konnte in den vergangenen Jahren auch am meisten geübt werden.

Hast du dein OK-Team bereits so zusammen, wie du es dir vorgestellt hast?

Wir haben ein Management-Team zusammengestellt, das für die verschiedenen einzelnen Bereiche verantwortlich ist. Dabei wurden einerseits Personen mit Erfahrung von anderen Events sowie Leute von der Lenzerheide Marketing und Support AG (LMS) zusammengebracht. Die oberste Management-Gruppe haben wir beisammen mit profilierten, erfahrenen Leuten wie Luana Bergamin, Guido Mittner, Silvio Baselgia und den Leuten von der LMS.

Unser Ziel ist es, bereits anlässlich des Weltcups im Dezember 2023 pro Wettkampftag 10'000 Zuschauer in die Roland Arena zu bringen.

 

Von welcher Grössenordnung sprechen wir bei einem Biathlon-Weltcup respektive bei Biathlon-Weltmeisterschaften? Mit welchen anderen Events sind diese Biathlon-Highlights am ehesten vergleichbar?

Wenn man sieht, wie viele TV-Übertragungswagen bei einem Biathlon-Weltcup vor Ort sind, dann ist das im Vergleich zu einem normalen Alpin-Weltcup das Dreifache, das muss man sich bewusst sein. Vergleichbar ist ein normaler Biathlon-Weltcup mit einem Weltcup-Final im Ski Alpin. Unser Ziel ist es, bereits anlässlich des Weltcups im Dezember 2023 pro Wettkampftag 10'000 Zuschauer in die Roland Arena zu bringen, also insgesamt 40'000. Bei der WM rechnen wir mit insgesamt 150'000 Zuschauern und einem Schnitt von 15'000 pro Tag. Wir wollen diesen Leuten in der Arena schon vor und nach den Wettkämpfen ein tolles, fast schon ganztägiges Erlebnis bieten. In Bezug auf die TV-Zahlen kann ich sagen, dass diese bei einer Biathlon-WM weltweit bei 180 Millionen Zuschauern liegen, die live schauen. Bei einer Alpin-WM sind es 130 Millionen. Das sind Zahlen aus dem Jahr 2021. In der Schweiz ist dieser Fakt den meisten Schneesport-Fans nicht bewusst.

Du warst einige Jahre bei der FIS tätig und hast unter anderem die Tour de Ski im Langlauf entwickelt. Welches sind deine bisherigen Berührungspunkte zum Biathlon?

Mit dem Biathlon-Weltverband IBU hatte ich jeweils viel zu tun, als es darum ging, über die Startzeiten zu verhandeln. Es liegt weder im Interesse der FIS noch der IBU, die starken Produkte gegenseitig zu konkurrenzieren. Ich kenne die massgebenden Personen auf Seiten des Biathlonsports gut, der Austausch war immer da. Was ich als ehemaliger Langläufer neidlos anerkennen muss, ist der geniale Spannungsaufbau während eines Biathlon-Wettkampfs. Du weisst genau, wann es zum Spannungsmoment kommt. Ein Athlet kann mit zehn und mehr Sekunden Vorsprung zum Schiessen ins Stadion einlaufen, und man weiss trotzdem nicht, ob er das Stadion wieder als Erster verlässt. Biathlon liefert viele Dramen, was den Sport so attraktiv macht.

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