Beeindruckend unbeeindruckt

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Image: Laax Open, Ruggli

Mit neuem Trick und Selbstvertrauen peilt Snowboarder Jan Scherrer in der Halfpipe neue Sphären an. Der Auftakt in Laax ist dem Toggenburger missglückt, beeindrucken lässt er sich davon nicht.

Womöglich hätte es der Snowboarder Jan Scherrer heute einfacher, er wäre ein paar Kilometer weiter östlich aufgewachsen, irgendwo in Österreich. Oder weiter im Norden, oberhalb des Bodensees, wo er die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen hätte und die Erwartungshaltung gegenüber Freestyle-Snowboardern eine andere ist. Ausgeflippt und extrovertiert müssen die Athleten in der Schweiz sein, die mit ihrem Snowboard erfolgreich durch die Halfpipe fliegen und dabei Kopf und Kragen riskieren.

Dieses Klischee ist das Erbe des im Herbst zurückgetretenen Olympiasiegers Iouri Podladtchikov und des Westschweizers Pat Burgener, die die hiesige Snowboard-Szene mit ihrem unorthodoxen Stil prägten. Scherrer sagt: «Sie sind extreme Beispiele, die mit diesem Rezept Erfolg haben.» Er selbst ist die Antithese zu seinen beiden guten Freunden, ruhig, zurückhaltend, aber nicht minder ambitioniert.

Die am Samstag am Laax Open eröffnete Weltcup-Saison begann für Scherrer mit einem 7. Rang ernüchternd. Der 26-Jährige hatte sich für den Heim-Event, den er bereits drei Mal auf dem 4. Platz abgeschlossen hat, Grosses ausgemalt. Dank einer in diesem Herbst gezeigten Weltneuheit, dem "Switch Alley-Oop Double Rodeo 1080", den Scherrer exklusiv beherrscht, hätte es den ersten Podestplatz in Laax geben sollen – mindestens. Die äusserst komplexe Doppelsalto-Variante mit drei hangaufwärts gedrehten Rotationen um die eigene Körperachse liess den Schweizer zum allseits beachteten Sieganwärter aufsteigen. In Laax aber nahm der Trick ihm die Unbeschwertheit, statt ihm die Topklassierung zu geben.

Bei einem Sturz im Training zog sich der 26-Jährige Prellungen an Hüfte, Rippen und der Hand zu. Wer den Aufprall sieht, wird erstaunt sein, dass Scherrer wenige Minuten später überhaupt im Final antrat. Wegen der Schmerzen musste er seinen Trick kurzfristig aus dem Programm streichen. Dabei hatte es ihn fünf Jahre gekostet, um aus einer blossen Vorstellung diesen lebensechten Trick zu kreieren. «Es war keine schöne Situation. Aber ich musste mir eingestehen, dass in Laax der Zeitpunkt dafür noch nicht gekommen war», sagt Scherrer. Ein sauberer Run glückte ihm – beeinflusst von den Schmerzen – trotzdem nicht.

So hart der Auftakt in Laax für Scherrer war, er offenbart eine der grossen Stärken des Toggenburgers. Erfolge lassen ihn ebenso wenig ausflippen wie Rückschläge verzweifeln, er analysiert die Geschehnisse nüchtern und weiss sie einzuordnen. «Trotz Laax reise ich mit guten Gefühlen an die X-Games», sagt er. Scherrer hat den Schlachtplan für Aspen in einer Woche bereits im Kopf, «mit meinem Trick zum Abschluss», sagt er. Im Vorjahr gewann er am Einladungs-Wettbewerb Bronze, heuer steht er als einziger Europäer im achtköpfigen Teilnehmerfeld.

Der Sturz, die Schmerzen und das Brimborium um ihn und seinen Trick, der noch diesen umständlichen Namen trägt, lassen Scherrer beeindruckend unbeeindruckt. Womöglich wird er seiner Kreation bald einen neuen, leichteren Namen verpassen. Fans und Freunde liess er auf Instagram bereits abstimmen, sie entschieden sich für "Jan Tonic". Der Name gefiele ihm auch, doch geniesst die Taufe bei Scherrer keine Priorität. Erst will er seinen Trick in einem Wettkampf zeigen, ihn landen. Und dann, wer weiss, verknüpft er ihn vielleicht für immer mit dem eigenen Vornamen und seinem Lieblingsdrink. Etwas extravagant wäre es.