Eine Karriere in verschiedenen Biathlon-Welten

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Foto: Stephan Bögli

Elisa Gasparin biegt allmählich auf die Zielgerade ihrer Karriere ein. Dies im Wissen, an einigen Meilensteinen der hiesigen Biathlon-Geschichte beteiligt (gewesen) zu sein, die vor einem Jahrzehnt beinahe utopisch schienen.

Am ersten Olympia-Sonntag 2014 in Sotschi liess nicht nur Dario Cologna nach dem Triumph im Skiathlon den Freudentränen freien Lauf, sondern wenig später an gleicher Stätte in Krasnaja Poljana auch Elisa Gasparin. Die damals vergleichsweise unbekannte Biathletin erreichte bei ihrem Olympia-Debüt als Achte ein Karriere-Bestergebnis. Während Gasparin bereits erste TV-Interviews geben musste, wusste sie nicht, welchen Schlussrang sie belegen würde, denn noch war das Sprint-Rennen im Gang. Als ihr wenig später in der Mixed-Zone von Journalisten mitgeteilt wurde, dass sie ein olympisches Diplom gewonnen habe, kullerten unvermittelt Freudentränen über ihre Wangen.

Noch heute, zehn Jahre später, zaubern die Erinnerungen an jene Olympia-Tage ein Lächeln auf Elisa Gasparins Gesicht. Nicht nur wegen des Glanzresultats, sondern auch wegen der für den Schweizer Biathlonsport so bedeutungsvollen Medaille ihrer älteren Schwester Selina – und weil beide zusammen mit Aita, der Jüngsten des Gasparin-Trios, den Traum eines gemeinsamen Starts im Olympia-Staffelrennen verwirklichen konnten.

2117 Tage nach jenen olympischen Staffel-Momenten schrieben die Gasparin-Schwestern, diesmal mit Lena Häcki, in Östersund abermals Biathlon-Geschichte. Mit Rang 2 zeichneten sie für den ersten Weltcup-Podestplatz einer Schweizer Frauen-Staffel verantwortlich. «Das war immer ein Traum, ein Meilenstein, der ursprünglich fast unerreichbar schien», sagt Elisa Gasparin rückblickend. «Nach jenen Emotionen wurde mir bewusst, wofür ich all die Investitionen in unseren Sport auf mich nehme.»

Doch wie ist die 32-Jährige überhaupt zum Biathlon gekommen? Über ihre sieben Jahre ältere Schwester Selina, möchte man meinen. Doch dem ist nicht so. «Wir haben den Sport ausprobiert, ohne es voneinander zu wissen – parallel sozusagen.» Laut ihrem langjährigen Trainer Markus Segessenmann war es Elisa, welche die Familie Gasparin mit dem Biathlon-Virus infizierte. Während andere Mädchen im Handarbeitsunterricht Kissen nähten, investierte Elisa diese Schulstunden in die Fertigung eines Gewehrsacks. Mit dem Biathlonsport in Berührung gekommen war sie über eine Familie in Zuoz im Engadin, bei der sie sich im Dachgeschoss im Luftgewehrschiessen üben konnte.

Ihre Biathlon-Begeisterung ist bis heute ungebrochen. Gleichwohl hatte Elisa Gasparin im Sommer 2022 gegen Motivationsprobleme anzukämpfen. Da wäre einerseits die Tatsache, nun schon seit anderthalb Jahrzehnten den Biathlon-Alltag zu leben. Andererseits tut sich Gasparin schwer damit, dass sich nationenübergreifend immer mehr liebgewonnene Kolleginnen aus dem Weltcup verabschieden. Mittlerweile ist sie eine der Ältesten im Feld. «Ich habe das Glück, in ein super Team integriert zu sein. Aber insgesamt ist es für mich nicht mehr das Gleiche wie noch vor ein paar Jahren.»

Auszeiten am Meer

Elisa Gasparin ist eine meinungsstarke Person, die auch offen über schwierige Lebensphasen spricht, wie über jene vor anderthalb Jahren, als sie vor den Trainings mehrmals weinend zuhause sass, trainingsfertig angezogen – und es trotzdem nicht schaffte, am Training teilzunehmen. «Ich kann nicht, ich will nicht – es geht nicht», offenbarte sie eines Tages ihrer Trainerin Sandra Flunger. In Absprache mit ihr nahm sich Gasparin daraufhin eine dringend nötige Auszeit. Mit dem Dachzelt ging es ans Meer, nach Jesolo. Dorthin, wo sie als Kind schon manche Ferienwoche verbracht hatte.

Es war Elisa Gasparins zweite Biathlon-Auszeit am Meer, nachdem sie in der Saison 2015/16 aufgrund gesundheitlicher Probleme hatte aussetzen müssen – und alleine nach Mexiko verreist war, um die Energiespeicher aufzufüllen. Heute sagt sie: «Ich bin sehr zufrieden mit meinem Leben und würde jederzeit wieder den Weg zum Biathlon einschlagen. Ich habe das Privileg, ein normales Leben und eines im Spitzensport mit dem gesamten Spektrum an Emotionen führen zu dürfen.»

Elisa Gasparin befindet sich im Herbst ihrer Karriere. Als krönenden Abschluss hat die Gewinnerin von vier olympischen Diplomen die WM 2025 in Lenzerheide im Blick. «Diese Heim-WM motiviert mich in jedem Training, an jedem Tag.» Beim Weltcup-Debüt im März 2010 in Oslo hätte sie nicht einmal zu träumen gewagt, dass sie dereinst auf höchster Stufe vor Heimpublikum würde Wettkämpfe bestreiten können. Die damaligen Strukturen innerhalb des Schweizer Biathlons sind mit den heutigen nicht ansatzweise vergleichbar. «Es war eine andere Welt», so Gasparin. Ein eigenes Frauen-Team gab es damals bei Swiss-Ski nicht. Dass es für sie keine einfache Zeit war, gibt die Bündnerin unumwunden zu. So kam es vor, dass sie in Andermatt bei Trainingskursen die einzige Frau unter oftmals rund zehn Jahre älteren männlichen Kader-Kollegen war.

Ein eigenständiges Frauen-Team, das losgelöst war von den Junioren-Strukturen, wurde erst nach den Olympischen Spielen 2014 gebildet. Während mehrerer Jahre waren Elisa und ihre Schwestern dank Sponsoren mit Privattrainern unterwegs. Sie gründeten hierfür nach Sotschi die Gasparin Sisters GmbH – mit ihrem Vater als Geschäftsführer. Über Crowdfunding-Plattformen sammelten sie Geld. «Selina schämte sich, dass sie als Olympiamedaillengewinnerin über solche Wege um Geld betteln musste», erinnert sich Elisa Gasparin. Mittlerweile kommt es ihr vor, als sei dies in einem anderen Biathlon-Leben gewesen. Heute verfügt das Schweizer Team dank der Roland Arena über eine topmoderne Infrastruktur und profitiert von einer umfassenden Betreuung.

Neue Rolle innerhalb des Teams

Mitte Dezember gastierte erstmals überhaupt die Biathlon-Weltelite in der Schweiz, am Weltcup in Lenzerheide in ebendieser Roland Arena in Lantsch/Lenz, wenige Gehminuten von Elisa Gasparins Zuhause entfernt. Dieser weitere Meilenstein der Schweizer Biathlon-Geschichte war die Generalprobe für die Weltmeisterschaften im Februar 2025. «Die Olympiamedaille von Selina war unheimlich wichtig für uns. Seither wissen die Leute in der Schweiz, was Biathlon ist. Und unser Sport wird medial viel besser abgedeckt.» Aber dies sei mittlerweile bereits zehn Jahre her, gibt Gasparin zu bedenken. «Die Medaille gerät langsam in Vergessenheit. Umso wichtiger sind diese grossen Heim-Events.»

Dass das Ende ihrer Karriere naht, verdeutlicht nicht zuletzt Gasparins Entscheid vor einem Jahr, sich innerhalb des Teams etwas zurückzuziehen. Jahrelang war sie eine Art Team-Captain gewesen. «Früher machte ich stets meinen Mund auf, wenn es darum ging, für die Interessen des Teams einzustehen.» Diese Rolle sollen jetzt andere übernehmen; Gasparin will sich in ihren letzten Jahren als Biathletin primär auf sich konzentrieren. «Wenn aber jemand um Rat bittet, dann helfe ich nach wie vor gerne.»

Elisa Gasparin ist die Schweizerin mit der längsten Biathlon-Karriere überhaupt. Bisher stehen für sie vier Weltcup-Podestplätze zu Buche – alle herausgelaufen mit der Staffel. Markus Segessenmann war bei all diesen Erfolgen als Trainer oder Disziplinenchef dabei. Seiner ehemaligen Athletin attestiert er eine hohe Sozialkompetenz. «Elisa war und ist für das Team enorm wertvoll – als Bindeglied, als Kommunikatorin.» Wenn er jeweils den Puls innerhalb der Equipe habe fühlen wollen, dann habe er sich mit Elisa Gasparin zum Essen getroffen, so der Berner. Dank ihrer Präsenz seien das Frauen- und das Männer-Team im Weltcup viel deutlicher eine Einheit gewesen.

Wenn man Markus Segessenmann und andere Weggefährten über Elisa Gasparin reden hört, wäre ein Einstieg als Trainerin nach dem Rücktritt ein durchaus logischer Schritt. Die Bündnerin wiegelt jedoch ab. Unabhängig von ihrer beruflichen Zukunft erachtet sie es als gewinnbringend, zunächst ein bisschen Abstand zu gewinnen und den eigenen Horizont in anderen Lebensbereichen zu erweitern. «Vielleicht merke ich schnell, dass ich nicht ohne Biathlon leben kann. Vielleicht bin ich aber auch komplett und für immer raus. Ich bin überzeugt, dass jede Lebensphase Schönes mit sich bringt.»

 

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