Eine Nähmaschine für Olympia-Gold

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Image: Swiss-Ski

Vor elf Jahren fuhr Mike Schmid bei der Olympia-Premiere der Sportart Skicross zu Gold. Der Titelgewinn in Vancouver prägte Schmids Karriere, der Berner Oberländer den jungen Sport.

Sie passt auch heute eigentlich noch ganz gut. Die Beziehung zwischen Mike Schmid, dem ersten Skicross-Olympiasieger der Geschichte, dem bodenständigen Strassenbauer aus Frutigen, und seinem Sport. Schmid kannte als Athlet und Olympiasieger keine Eitelkeiten, er kennt sie heute als Trainer des Schweizer Teams nicht, der Skicross verträgt sie nicht. Die Massenstart-Rennen über eisige Pisten und Sprünge sind zu unberechenbar, um sich Extravaganzen zu leisten. Zudem ist mit Skicross nicht das grosse Geld zu machen, anders etwa als bei den Alpinen.

Und doch hat die Sportart in den letzten Jahren einen grossen Sprung gemacht, in der Schweiz verdankt sie dies nicht zuletzt Schmid. Aktuell laufen im Ski-Weltverband (FIS) sogar Bestrebungen, die Skicrosser vom Freestyle- in den Alpin-Bereich zu verlegen, ein weiterer Bedeutungsgewinn würde mit damit einhergehen. Schmid kennt so gut wie kaum einer die schönen wie auch die negativen Seiten seines Sports. Auf der einen Seite ist da sein Olympiasieg, der alles überstrahlt. Da sind aber auch ein halbes Dutzend schwere Knie-Verletzungen, die den Berner Oberländer 2015 zum Rücktritt zwangen. Die Leidenschaft für den Sport nahmen sie Schmid aber nicht. Seit 2017 gehört der Olympiasieger zum Schweizer Trainerteam.

Als Skicross vor elf Jahren in Vancouver vor der Olympia-Premiere stand, galten die Athleten, die diesen Sport betrieben, im besten Fall als gescheiterte oder ausrangierte Alpine, im schlimmsten Fall als verrückte Draufgänger. Da war der Amerikaner Daron Rahlves, WM-Gold im Super-G, Silber in der Abfahrt, Bronze im Riesenslalom, der zwei Jahre vor Olympia in den Skicross-Weltcup gewechselt hatte. Da waren aber auch solche wie Schmid, die in jungen Jahren die Freude am alpinen Skisport verloren und sie im Skicross wiederfanden, im direkten Vergleich Mann gegen Mann und Frau gegen Frau.

Am 21. Februar 2010 standen sie nebeneinander im Startgate in Cypress Mountain, erste K.o.-Runde, Achtelfinal. Strassenbauer Schmid, Schnellster der Qualifikation, mit der roten Startnummer, Rahlves, der frühere Alpin-Star, in blau. "Wir hatten zwei Jahre zuvor an der WM eine unschöne Begegnung", erinnert sich Schmid. Eine solche an Olympia und das Rennen hätte für beide ein jähes Ende nehmen können.

Unkonventioneller Ansporn

Das Risiko, unverschuldet auszuscheiden, ist allgegenwärtig in diesem Sport der Widersprüche mit den harten Positionskämpfen auf und dem engen Zusammenhalt neben der Piste. Die Unberechenbarkeit macht aber auch einen grossen Teil des Reizes aus. Schmid sagt: "Ich hatte damals in Vancouver auch einfach das nötige Glück, das du im Skicross haben musst." Rahlves war Schmid im Achtelfinal genauso unterlegen wie die gesamte Konkurrenz danach. Viertelfinal, Halbfinal, Final: Schmid fuhr in jedem Heat als Erster über die Ziellinie.

Noch vor der Qualifikation hatte sich der Husarenritt des damals 25-Jährigen nicht angedeutet. "Das Training davor ging total in die Hose", sagt Schmid, der schliesslich aus den Worten des damaligen und heutigen Skicross-Cheftrainers Ralph Pfäffli die nötige Motivation für die entscheidende Phase zog. Schlimmer könne es im Rennen ohnehin nicht mehr kommen, habe ihm Pfäffli gesagt. Es ist eine der Qualitäten des 54-Jährigen, seinen Athleten eine Prise Leichtigkeit zu vermitteln. Selbst an einem Anlass wie Olympia habe Pfäffli das geschafft, sagt Schmid. "Dabei kann man die Grösse dieses Anlasses ja nicht herunterspielen."

In Vancouver hielten Pfäffli, Schmid und Co. einfach an dem aus dem Weltcup bekannten Prozedere fest, auch wenn dies für eine Olympia-Sportart aus heutiger Perspektive lachhaft klingen mag. Mit einer nach Kanada transportierten Nähmaschine flickte das Team an den Tagen der Wettkämpfe die Skianzüge zusammen. "Coni (Conradign - Red.) Netzer war der Chef an der Nähmaschine", sagt Schmid. Olympionike und Chefnäher, bei der Winterspiel-Premiere standen im Skicross in erster Linie äusserst passionierte Hobbysportler am Start. Unter ihnen Mike Schmid. Nie passte es besser zwischen dem gelernten Strassenbauer und seiner Sportart als am 21. Februar 2010.