Warum Alexander Wolf regelrecht aufblüht

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Keystone-SDA

Alexander Wolf, der neue Cheftrainer der Biathleten will seine Athleten in eine Verfassung bringen, die Medaillengewinne an den Olympischen Spielen 2022 möglich machen sollen.

Trainer werden? Weiterhin aus dem Koffer leben? Ständig unterwegs sein! Lieber nicht. Im Frühjahr 2013 ist es, als Alexander Wolf seine Karriere als Spitzenbiathlet beendet und plant, ein Marketingstudium aufzunehmen. Aber der Deutsche Skiverband (DSV) sieht im 35-Jährigen einen Mann mit pädagogischen Fähigkeiten. Ihn verlieren, das will der Verband unter allen Umständen vermeiden - und überzeugt ihn schliesslich, eben doch Trainer zu werden und zunächst sein Wissen an der Basis zu vermitteln.

Lust auf mehr

Wolf findet Gefallen daran, mit Jugendlichen zu arbeiten und sie zum Sport zu animieren. Das weckt in ihm die Lust auf mehr. Der gebürtige Thüringer absolviert in Köln das Diplom-Trainer-Studium und schliesst an der Universität in Leipzig mit dem Bachelor in Sportwissenschaften ab. Beim DSV fördert er die Talente in der Biathlon-Hochburg Oberhof und gelangt an einen Punkt, an dem er weiss: Er will seine Fähigkeiten im Hochleistungssport unter Beweis stellen. Er ist bereit dafür, er bringt einen prall gefüllten Rucksack mit.

Nur: Beim DSV gibt es ganz oben keine Vakanz. Aber Wolf verfügt über ein grosses Beziehungsnetz und deponiert an verschiedenen Stellen, dass er Ambitionen hat. Als Swiss-Ski einen neuen Assistenztrainer sucht, interessiert ihn das. Aber er wird noch hellhöriger, als Anfang Februar 2020 bekannt wird, dass der Schweizer Cheftrainer der Männer, Jörn Wollschläger, per Ende Saison zurücktritt.

Treffen in der Autobahnraststätte

Während der Biathlon-WM im italienischen Antholz trifft er sich mit Markus Segessenmann, dem Biathlon-Disziplinenchef von Swiss-Ski, auf einer Autobahnraststätte zu einem Kaffee. Rasch spürt er: Das Denken, die Ansichten, die Philosophie - das passt. Und ein paar Wochen später, Mitte April, ist es fix: Alexander Wolf tritt die Nachfolge von Wollschläger an, einem einstigen Teamkollegen in Deutschland. Eines der Abschiedsgeschenke in Deutschland ist ein Wörterbuch: Hochdeutsch-Schweizerdeutsch.

Vor der Unterschrift hat er sich eingehend mit der Biathlonszene in der Schweiz auseinandergesetzt. Die Zusage gibt er, «weil dieses Projekt reizvoll ist wie keines sonst». Und eines betont er auch: «Ich habe das Trainermetier von Grund auf gelernt. Es ist eine neue Karriere in einem neuen Beruf, und ich wollte nichts geschenkt, sondern es mir verdienen, einmal Cheftrainer auf diesem Niveau zu werden.»

Schönes Palmares

Am liebsten würde er sofort mit der Arbeit loslegen, aber Corona verzögert seine Einreise in die Schweiz. Mitte Mai erst erhält er die Möglichkeit, in Andermatt jene Leute persönlich kennenzulernen, mit denen er in Zukunft zu tun haben wird. Für die Schweizer ist der 43-Jährige nicht irgendwer, sondern ein geläufiger Name. Wolf errang in seiner Laufbahn acht Weltcupsiege, gewann WM-Bronze in der Verfolgung und mit der Staffel, holte drei EM-Titel im Sprint und mit der Staffel, ausserdem nahm er dreimal an Olympischen Spielen teil (2002, 2006 und 2010).

Mit Ambitionen nach Peking

Die Botschaft, die er allen Beteiligten schnell vermittelt, ist unmissverständlich. Er will seine Gruppe in eine Verfassung bringen, dass Medaillen bei Olympia 2022 keine Illusion sind. «Ich setze bewusst hohe Ziele», sagt er, «wieso sollen wir nicht in der Lage sein, das zu schaffen? An den Spielen nur teilnehmen, das ist mir zu wenig. Wir wollen in Peking mit  Ambitionen an den Start gehen.»

Ich setze bewusst hohe Ziele

 

Die ersten Monate im Amt stimmen Wolf zuversichtlich. Er hat mit Athleten zu tun, die ihm signalisieren, dass sie mitziehen. Dass sich im Team eine Dynamik entwickelt. Dass bei allem Konkurrenzdenken eben auch die Unterstützung untereinander nicht zu kurz kommt. Er beobachtet, wie etwa der junge Sebastian Stalder den routinierten Benjamin Weger fordert, indem er am Schiessstand ein forsches Tempo vorlegt. «Es ist herrlich mitanzusehen, wie die sich gegenseitig pushen», sagt er, «da greifen Zahnrädchen automatisch ineinander.»

 «Mir tat das Team immer gut»

Wenn er vom intakten Gefüge redet, vom funktionierenden Zusammenleben, erinnert er sich auch an früher. Lief es Wolf nicht wie gewünscht oder mangelte es einmal an Motivation, trieb Sven Fischer ihn an. Der ehemalige Weltklasse-Biathlet teilte mit Wolf oft das Zimmer und ist mit ein Grund dafür, dass der heutige Schweizer Chefcoach sagt: «Mir tat das Team immer gut. Bei Swiss-Ski soll auch ein Spirit herrschen, der positiven Einfluss auf jeden einzelnen hat.»

Bei Swiss-Ski soll auch ein Spirit herrschen, der positiven Einfluss auf jeden einzelnen hat.

 

Grösstmöglicher Erfolg angestrebt

Alexander Wolf wünscht sich von Teamleader Benjamin Weger, dass der Walliser wieder in die Phalanx der Besten vorstösst. Aber er betont auch: «Mein Ziel ist es, nicht nur ihn, sondern alle besser zu machen und nachhaltige Arbeit zu leisten.» Er legt Wert auf respektvollen Umgang, darauf auch, jeden gleich zu behandeln und sich bei Entscheiden nicht von Emotionen leiten zu lassen: «Am Ende geht es nur um eines: um den grösstmöglichen Erfolg.»

Massgeblichen Einfluss auf die Leistungsbereitschaft soll die Ausrichtung der Biathlon-WM 2025 in Lenzerheide haben. «Das ist eine Riesensache, eine zusätzliche Motivation für uns alle», findet Wolf, «die Ausrichtung eines solchen Grossanlasses gibt dem Nachwuchs einen Schub und sorgt ganz generell dafür, dass der Biathlon-Sport in der Schweiz profitiert. Es kann etwas sehr Schönes entstehen.»

Für alle Situationen vorbereitet sein

Wolf bereitet seine Leute darauf vor, dass sie lernen, mit erhöhtem Druck umzugehen, auch medialem. «Ich versuche, ihnen Lösungen aufzuzeigen. Es gibt Situationen, für die man gewappnet sein muss und sein kann», sagt er, «ich habe das Glück, über einige Erfahrung sowie Glaubwürdigkeit zu verfügen und den Athleten nachfühlen zu können.»

Er lebt nun wieder aus dem Koffer wie früher - und es macht ihm nicht einmal etwas aus. Seine Frau Katja und der zweijährige Sohn Brian bleiben noch in der vertrauten Umgebung von Steinbach-Hallenberg nahe Oberhof. Aber durchaus vorstellbar ist ein Umzug in die Schweiz - «wir hoffen, dass die Corona-Pandemie bald überstanden ist. Dann schauen wir das an». 

Vorderhand investiert er alle Energie in seine berufliche Aufgabe. Das heisst auch, dass anderes zurückstehen muss, also auch eines seiner Hobbys. Wolf ist ein passionierter Fan alter und schneller Autos, in seiner Garage in Steinbach-Hallenberg stehen einige dieser Exemplare. «Irgendwann werde ich wieder Zeit dafür haben», sagt er. Von seiner Frau bekommt er für seinen Job die Rückendeckung, die er sich nur wünschen kann: «Sie findet, dass ich ausgeglichener bin, seit ich in der Schweiz arbeite. In Deutschland befand ich mich als Nachwuchstrainer irgendwie in einer Sackgasse, jetzt blühe ich regelrecht auf.»