Statt Spitzenathletin und Bäuerin ist sie jetzt Mutter und Bäuerin

Zurück
Foto: Adrian Baer

Nathalie von Siebenthal ging als Langläuferin konsequent ihren eigenen Weg und hörte mit erst 26 Jahren auf. Nun heisst sie Mösching, ist zweifache Mutter – und hat einen schwierigen Umzug von einem Hof zum andern hinter sich.

Fabienne greift zu den Farbstiften und fängt an, ein buntes Kunstwerk zu zeichnen. Die Dreijährige lässt sich nicht ablenken, sie geniesst die Zeit an ihrem Basteltischchen in der Stube und dass ihr Mami ihr die volle Aufmerksamkeit schenkt. Zwischendurch bittet Fabienne um Unterstützung, dann macht sie glücklich weiter. Es sind Momente, in denen Nathalie Mösching auch ein bisschen in eine eigene Welt eintauchen kann. Die Mutter von Fabienne sagt: «Es ist schön, wie es ist.»

Nathalie Mösching, geborene von Siebenthal, ist 30, erst 30. Es ist ein Alter, in dem sie immer noch als Sportlerin auf höchstem Niveau aktiv sein könnte. Aber im Herbst 2019 beendete die Langläuferin ihre Karriere. Der Entscheid fühlte sich nicht nur richtig, sondern sogar ein bisschen befreiend an. Sie spürte, dass es sinnfrei gewesen wäre, eine Fortsetzung zu erzwingen. Sie hätte den Trainingsaufwand erhöhen müssen, wenn sie noch einmal einen Leistungssprung hätte machen wollen. Aber noch mehr investieren, noch häufiger oder sogar ganz weg von daheim – nein, das war für sie kein Thema.

Sie liess sich nicht in ein Korsett zwängen

Der Sport hatte für Nathalie von Siebenthal stets einen hohen Stellenwert, das schon. Wenn sie eine Startnummer trägt, weckt das den Ehrgeiz in ihr, das Rennen so gut wie möglich zu gestalten. Sie trainierte viel und gern, doch in ihrem Alltag musste es Platz für Anderes haben, zum Beispiel für ihre berufliche Leidenschaft. Sie wuchs auf einem Bauernhof in Lauenen BE auf, absolvierte eine dreijährige Landwirtschaftslehre und liebt es seither, Zeit im Stall zu verbringen oder beim Zäunen. Von Siebenthal packte auch in den Jahren als Spitzensportlerin da an, wo es eine helfende Hand brauchte.

Der elterliche Hof war für sie Heimat und Rückzugsort, nirgends konnte sie besser abschalten und Energie tanken als in der Natur und um ihre geliebten Tiere herum. Für sie biss sich das nicht mit ihren sportlichen Ambitionen und der Lust, in der Loipe Topresultate zu erzielen. Ihren Trainern war klar, dass sich die Athletin nicht in ein Korsett zwängen lässt. «Sie akzeptierten mich, wie ich war», sagt sie heute, «sie wussten, was mir guttut. Wenn man von mir Dinge verlangt hätte, die mir widerstreben, hätte es mit den Leistungen nicht funktioniert.»

Schon als Kind hatte sich Nathalie in ihrer Freizeit kaum einmal auf die faule Haut gelegt. Im Betrieb gab es stets etwas zu tun, und das änderte sich nicht mit ihrem Aufstieg in den Weltcup. Dort angekommen, wurde sie eine öffentliche Figur, die nach Rennen vor Mikrofonen Auskunft zu geben hatte. Von Siebenthal tat das ungeschminkt und ungekünstelt, fadengerade und erfrischend.

«Seckle bis ins Ziel, das war meine Devise»

Diplomatie war nicht ihr Ding. «Mir wurden Fragen gestellt, ich antwortete», sagt sie, «ich überlegte nie, welche Worte ich wählen sollte, damit es gut klingt. Und ich wollte auch nie etwas schönreden, das wäre zu anstrengend gewesen.» Das passte zur Art, wie sie Wettkämpfe bewältigte: ohne grosses Taktieren. «Seckle bis ins Ziel, das war meine Devise.»

Missriet Nathalie von Siebenthal ein Rennen, setzte sie sich selbstkritisch mit ihrer Leistung auseinander – und überlegte zuerst, was sie falsch gemacht haben könnte. So sei sie erzogen worden. «Es sind nicht immer alle anderen schuld, wenn man einen Fehler gemacht hat.» Und: «Die Leute sehen ja auch, wenn ich nicht gut gewesen bin. Ich kann problemlos dazu stehen.» Die medialen Verpflichtungen zählten nicht zu ihren bevorzugten Disziplinen, aber sie ging pragmatisch damit um, im Sinne von: Das gehört halt dazu. Eine Medienschulung brauchte sie nicht, wollte sie nicht, ihr Bestreben war es, als Nathalie von Siebenthal rüberzukommen.

2016 lernte sie Stefan Mösching kennen und verliebte sich in ihn, den Landwirt aus Gstaad, zehn Autominuten von Lauenen entfernt. Zwei Jahre später reiste sie voller Selbstbewusstsein an die Olympischen Spiele nach Pyeongchang, sie wollte den 4. Rang der WM 2017 im Skiathlon übertreffen. Sie fühlte sich in einer vorzüglichen Verfassung und war bereit, das «Rennen ihres Lebens» zu laufen, so formuliert sie es. Unterwegs glaubte sie, das alles passe.

Umso grösser war die Ernüchterung im Ziel. Ihr Eindruck deckte sich nicht mit dem, was am Ende herausschaute. Nathalie von Siebenthal wurde Sechste – es war nicht das, was sie sich vorgestellt hatte. «Ich war enttäuscht», sagt sie offen. Sie realisierte damals, dass nicht viel fehlte, aber halt doch etwas. Und um das wettzumachen, wäre Knochenarbeit nötig gewesen. Das hätte bedeutet: Im Sommer auf Wanderungen und die Arbeit auf der Alp verzichten und stattdessen auf eine gezieltere, spezifische Vorbereitung setzen.

Ein steter Kampf, ja Krampf

Trotz aller Enttäuschung machte Nathalie von Siebenthal weiter, nicht zuletzt deshalb, weil mit den Weltmeisterschaften 2019 in Seefeld bereits der nächste Grossanlass anstand. Allerdings verlief die Saison bis dahin nicht wie gewünscht, es war ein steter Kampf, ja Krampf, in manchen Rennen schoss von Siebenthal der Gedanke durch den Kopf: «Wieso laufe ich überhaupt noch?»

In Seefeld erreichte sie mit Rang 7 über 30 Kilometer ihr bestes Saisonresultat; nach den Titelkämpfen beendete sie die Saison mit dem Gewinn des Engadin Skimarathons. Da wäre sie am liebsten lautlos und unbemerkt von der Bühne verschwunden. Im Oktober 2019 verkündete Nathalie von Siebenthal den Rücktritt. Kurz zuvor hatten Stefan und sie geheiratet, seither heisst sie Mösching.

Im Februar 2021 werden die beiden erstmals Eltern. Zwei Jahre nach Fabienne kommt Amélie zur Welt. Und dazwischen übernehmen sie von Stefan Möschings Eltern den Hof in Gstaad. Dort lebt die Familie nun. Für Nathalie Mösching verlief der Abnabelungsprozess von Lauenen nicht eben einfach. Das neue Zuhause mag in der Nachbarschaft liegen, sie musste also nicht aus dem Saanenland wegziehen. Und doch war der Umzug eine echte Prüfung. Mösching verliess nicht nur ihre Herkunftsfamilie, sondern auch ihre geliebten Tiere. «Es war extrem hart», sagt sie, «aber ich sah in Stefan den Mann meines Lebens und wünschte mir, mit ihm eine eigene Familie zu gründen. Darum war ich bereit, aus Lauenen wegzuziehen.»

Beim Melken taucht sie in ihre Welt ein

In der neuen Umgebung fühlt sich Nathalie Mösching längst wohl. Sie liebt ihre Rolle als Landwirtin, die eine hohe Präsenz erfordert. Wenn es ums Heuen geht, schaut sie nicht auf die Uhr. «Fertig sind wir dann, wenn alles erledigt ist», sagt sie. Um 16.45 Uhr geht sie jeweils zum Melken in den Stall, regelmässig begleitet von der kleinen Fabienne, während Amélie von den Schwiegereltern umsorgt wird. Ferien sind eine Rarität geworden. Letztmals länger weg war Mösching im Januar 2020 – in den Flitterwochen auf den Seychellen.

Langlaufen ist mittlerweile ein Hobby, zwischendurch bricht sie im Winter zu einer Runde auf, gerne im Gebiet Turbach, wo eine Loipe nach ihr benannt ist. Es kommt auch vor, dass sie zum Vergnügen an einem regionalen Wettkampf teilnimmt. Wobei das mit dem Vergnügen so eine Sache ist: Den Ehrgeiz hat sie nie wirklich abgelegt.

Was im Weltcup geschieht, verfolgt Nathalie Mösching nur oberflächlich. Sie interessiert sich für die Resultate, ab und zu sitzt sie vor dem Fernseher, wenn ein Rennen übertragen wird. Aber als Zuschauerin fasziniert sie Biathlon mehr. Gibt es nichts, das sie aus ihrer Karriere vermisst? Sie schüttelt den Kopf, überlegt einen Moment und antwortet: «Doch, die Tour de Ski würde ich gerne noch einmal absolvieren.»

Es ist später Nachmittag geworden in Gstaad, es wird langsam dunkel. Fabienne kümmert das so wenig wie Amélie, die immer noch ihren Mittagsschlaf hält. Bald ruft die Pflicht im Stall. Wobei das für Nathalie Mösching nicht ein Müssen, sondern ein Dürfen ist. Sie taucht in ihre Welt ein.

Links

Dieser Artikel ist im «Snowactive» ersterschienen, dem Verbandsmagazin von Swiss-Ski.

Möchtest du das Magazin viermal jährlich direkt in deinen Briefkasten geliefert kriegen? Dann werde noch heute Swiss-Ski Mitglied und profitiere neben hochwertigem Lesestoff auch von zahlreichen anderen Vergünstigungen und Angeboten.

Jetzt Mitglied werden