«Ich stehe eher am Anfang als kurz vor dem Ende meiner Karriere»

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Daniele Sette kämpfte sich nach Jahre als Solist ins Kader von Swiss-Ski. Der 28-jährige Riesenslalomspezialist aus St. Moritz hat grosse Ziele - und freut sich auf ein Rennen in diesem Winter besonders: Adelboden. Zum Saisonauftakt in Sölden liess er sich als 20. bereits elf Weltcup-Punkte gutschreiben.

Es gab sie, diese Momente, in denen er nicht wusste, wie es weitergehen sollte. In denen er dachte: «Was kann ich überhaupt noch tun, um einen Ausweg zu finden?» Und die Antwort? Weitermachen! Er gab nie auf, weil die Liebe zum Sport jedes Mal grösser war als jeder Zweifel. 

Daniele Sette ist Skifahrer aus Leidenschaft, ihn treibt der Ehrgeiz an, eines Tages einen Podestplatz in einem Weltcuprennen zu erreichen, am liebsten in Adelboden. Und dann ist da noch die WM in Cortina d’Ampezzo 2021. Sette sagt: «Ich tue alles dafür, um dort dabei zu sein. Und erfolgreich abzuschneiden.»

Alles dafür tun - es ist in seinem Fall alles andere als einfach dahingesagt. Dem 28-Jährigen aus St. Moritz ist in seiner Karriere nichts geschenkt worden.

In seiner Jugend ist er ein vielseitiger Sportler, er hat Talent als Fussballer, und als Sohn eines Tennislehrers besitzt er auch die Gabe, elegant mit dem Racket umzugehen. Aber mehr als alles andere fasziniert ihn das Skifahren. In der Oberstufe entscheidet er sich, darauf zu setzen. Er besucht das Sportgymnasium in Davos, macht 2012 die Matura und verzichtet vorerst darauf, sich für ein Studium einzuschreiben, weil er einen anderen Plan hat: Skirennfahrer will er werden, auf den grossen Bühnen der Welt auftreten. Davon rückt er nicht mehr ab.

Wie ein Einzelunternehmen

Allerdings wird eine Sorge sein ständiger Wegbegleiter: Er gehört nicht zu einem Kader von Swiss-Ski, also muss er selber das nötige Geld auftreiben, selber seine Ski präparieren, selber Trainings organisieren und Tore für Läufe auf irgendwelchen Hängen stecken - und meisten selber schauen, wie er Fortschritte erzielen kann.

Sette lernt, zu kämpfen und sich durchzubeissen, auch in vermeintlich ausweglosen Situationen steckt. Der 1.68 m grosse Riesenslalomspezialist ist während zwölf Jahren als eine Art Einzelunternehmen unterwegs, aber er beklagt sich nie: «Mein Umfeld stärkte mir immer den Rücken.» Finanzielle Unterstützung erhält er lange von seinen Eltern, er arbeitet im Sommer auch auf Baustellen oder nach der Wettkampfsaison als Skilehrer, er wirbt mit Videoblogs um Sponsoren. Schliesslich muss er einen stattlichen Betrag zusammenkratzen. Ein Winter kostet ihn bis zu 50’000 Franken. Wichtig ist für ihn in dieser Phase der Support der Stiftung «Passion Schneesport». Heute sagt er: «Sie half mir nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern begleitete mich auch sonst. Gerade der Austausch am Ende einer Saison war stets bereichernd.» Gratis bekommt er Ratschläge von Grössen wie Marc Berthod oder Sandro Viletta, «zu ihnen schaute ich stets hoch». Oder er darf von Viletta auch schon einmal ein Renndress erben.

Kein Weg ist ihm zu weit, kein Aufwand zu gross, um seinen Traum zu leben. Er investiert jeden Franken in den Sport, fliegt nach Neuseeland, um dort intensiv zu trainieren und lässt sich auch von Blessuren nicht bremsen. 2018 wird er ins Global Racing Team aufgenommen, in der sich zwei Trainer um Athleten mit besonderen Werdegängen wie den von Daniele Sette betreuen. Der Schweizer weiss: «Es ist meine letzte Chance, ich muss sie packen.»

Der verhängnisvolle Sturz

Genau das tut er. Von nichts lässt er sich aufhalten, nicht einmal von einem verhängnisvollen Unfall, der bis heute nachwirkt. Im Dezember 2016 durchtrennt ihm bei einem Sturz die Kante des Skis einen Nerv der linken Hand. Seither hat er in zwei Fingern kein Gefühl mehr, die Motorik der Hand ist seither eingeschränkt.

Der Techniker steht aber wieder auf, fährt weiter und darf im 2017 an der WM in St. Moritz als Vorfahrer über die Piste. Immerhin, denkt er, «besser als gar nichts». Im Europacup erzielt er positive Resultate und erhält im Frühling 2019 einen Anruf, an dem er sich vorkommt wie an Weihnachten: Swiss-Ski nimmt ihn ins B-Kader auf. Die Nachricht löst viel in ihm aus, vor allem sorgt sie für enorme Erleichterung. «Es war ein cooler Moment», erinnert sich Sette, «ich wusste: Jetzt bist du erstmals Teil eines Teams. Man setzt auf mich und nimmt mich ernst.»

Sette, der 2014 in Adelboden sein erstes Weltcuprennen bestritten hat, erzielt am 11. Januar 2020 beim gleichen Riesenslalom im Berner Oberland mit dem 19. Platz seine beste Klassierung überhaupt. Er ist überwältigt von der fantastischen Stimmung, von seinem Ergebnis ebenfalls, und überraschen kann es folglich nicht, dass für ihn Adelboden sein absoluter Favorit unter den Austragungsorten ist.

Bei Swiss-Ski profitiert er von Annehmlichkeiten, die er als Solist so lange Zeit nicht gekannt hat. Er muss sich nicht mehr alleine um alles kümmern, auch der wirtschaftliche Druck ist nicht mehr so gross wie zuvor. Aber er ist unverändert bereit, auch Erspartes in den Sport zu stecken, weil er überzeugt ist: «Wenn ich weiterkommen will, muss ich auf jedes Detail achten.»

Tränen in den Augen

Er befindet sich mit 28 Jahren in einem Alter, in dem er sagt: «Ich habe meine besten Jahre noch vor mir. Meiner Meinung nach stehe ich eher am Anfang als kurz vor dem Ende meiner Laufbahn.» Der Sohn italienischer Eltern schafft es mittlerweile besser, sein Potenzial abzurufen. «Ich habe immer an mich und meine Fähigkeiten geglaubt», sagt er, «jetzt bin ich auch in der Lage, das zu zeigen.» Nicht vergessen hat er heikle Phasen, in denen er dachte, nicht vom Fleck zu kommen. Oder in denen ihm aus Enttäuschung über eine Nicht-Nomination für den Europacup Tränen in die Augen schossen. 

Aber der Sport bedeutet ihm alles. Darum ist eine Neuorientierung kein Thema. «Es gibt immer einen Weg», lautet sein Credo, «manchmal muss man die Lösung einfach etwas länger suchen. Das waren Prozesse, die mich durchaus bereicherten.» Im Frühjahr hat die Corona-Pandemie auch ihn gezwungen, sein Programm anzupassen. Aber Flexibilität und Solo-Trainings, das ist Sette sich gewohnt. Mitte Juli steht er erstmals nach vier Monaten wieder auf den Ski: «Es war ein sehr schönes Gefühl.»

«Ich muss liefern»

Sich im Weltcup etablieren, den Anschluss an die Weltspitze herstellen, an der WM in Cortina teilnehmen - das sind die nächsten Ziele des Daniele Sette. Und wenn er tatsächlich an einem Grossanlass an den Start gehen darf, möchte er für Furore sorgen. Dass ihn nicht viele auf der Rechnung haben mögen, stört ihn nicht. Sette weiss, dass er Überzeugungsarbeit zu leisten und den Nachweis zu erbringen hat, dass er über genügend Qualität verfügt. Oder in seinen Worten: «Ich muss liefern.»

Sechs Jahre würde er gerne noch Skifahrer bleiben, mindestens. Ihm ist sehr wohl bewusst, dass er sich auf einem schmalen Grat bewegt und er sich nicht viele Ausrutscher erlauben darf. Aber wie sagt er doch mit einem entspannten lächeln: «Ich liebe diesen Sport. Darum werde ich weiterhin nicht nachlassen.»


Website von Daniele Sette