Aufsteiger Josua Mettler: Als Bub empfing er Simon Ammann – jetzt greift er im Alpin-Weltcup an

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Foto: Manuel Lusti

Im Schatten des Weltcups und fernab der breiten Öffentlichkeit gewann Josua Mettler im März die Europacup-Gesamtwertung der Alpinen. Für den 24-jährigen Toggenburger öffnete sich damit die Tür für regelmässige Auftritte auf der Hauptbühne. Eine grosse Chance – erstmals beim Weltcup-Auftakt in Sölden.

Josua Mettler geniesst die Zeit während einiger Wochen im Sommer, wenn er von zuhause aus an seiner Physis arbeiten kann – im eigens dafür eingerichteten Kraftraum in Unterwasser SG, 150 Meter von der Wohnstube seiner Eltern entfernt. «Ich bin nicht so ein Dorfgänger, sondern geniesse meine Freizeit zuhause, im Garten oder auf dem Velo.» Mit den beschaulichen Rahmenbedingungen von Europacup-Rennen, fernab von Blitzlicht und Ruhm, vermag er, der den grossen Rummel nicht sucht, gut umzugehen. Als Skisportler ändert sich für Mettler nun aber Grundlegendes. Bleibt er gesund, wird er seine bisherige Anzahl von fünf Weltcup-Einsätzen im kommenden Winter vervielfachen. Der Gesamtsieg in der vergangenen Europacup-Saison ist gleichbedeutend mit einem fixen Startplatz an sämtlichen Weltcup-Rennen der Saison 2023/24.

Mettler, der neben der Gesamt- auch die Riesenslalom-Wertung für sich entscheiden konnte, verfällt nicht in Euphorie, wenn er über die bislang grössten Erfolge seiner Karriere spricht. Der B-Kader-Athlet hat klare Vorstellungen und Erwartungen an sich selbst, äussert diese jedoch zurückhaltend – auch wenn er im März in einen äusserst illustren Kreis aufgestiegen ist. Die Liste der Europacup-Gesamtsieger umfasst Namen von Grössen wie Hermann Maier, Benjamin Raich, Kjetil Jansrud, Marcel Hirscher, Alexis Pinturault oder Aleksander Kilde. Doch längst nicht alle Europacup-Gesamtsieger sind später im Weltcup durchgestartet.

Ein grosser Schritt

In den vergangenen Jahren zeichnete sich für Mettler ab, dass er einen Weltcup-Startplatz aufgrund des sehr hohen teaminternen Niveaus via Europacup erobern muss. «Auf diese Ausgangslage habe ich lange hingearbeitet. Die Chance, die sich mir jetzt bietet, möchte ich nutzen», so Mettler, der seine aktuelle Situation wie folgt umschreibt: «Sie bedeutet Druck, mindert diesen aber auch.» Dank des Fixplatzes muss der St. Galler nicht ständig «unter Strom fahren», er kann die Trainings etwas lockerer angehen, da teaminterne Qualifikationen für ihn wegfallen. Ansonsten wäre die Belastung zu gross, vor allem, wenn man wie Mettler drei Disziplinen – Abfahrt, Super-G und Riesenslalom – bestreiten will.

Auf diese Ausgangslage habe ich lange hingearbeitet.

Josua Mettler

«Ziel muss es sein, dass Josua am Ende der Saison in den Top 30 einer Disziplinenwertung klassiert ist», erklärt Hans Flatscher, der Alpin-Direktor von Swiss-Ski. «Ein Fixplatz im Weltcup bietet hierfür die besten Voraussetzungen, die es zu nutzen gilt. Unser Trainerteam wird gemeinsam mit Josua fortlaufend analysieren, welche Renneinsätze mit Blick auf seine Entwicklung am meisten Sinn ergeben.» Der Schritt vom Europacup in den Weltcup sei nochmals ein grosser, so Flatscher. «Das ist Aussenstehenden oftmals zu wenig bewusst. Die Strecken im Weltcup sind in Bezug auf Technik und Physis noch anspruchsvoller, dazu ist insbesondere in der Abfahrt der Faktor Erfahrung sehr wichtig.»

Weltcup-Erfahrung hat Josua Mettler in der Abfahrt und im Super-G bereits sammeln können – mit dem Highlight im vergangenen Januar, als er in Kitzbühel als 20. erstmals auf höchster Stufe in die Punkteränge fuhr. «Wenn man vor 40'000 Fans seine ersten Weltcup-Punkte holt, dann vergisst man diesen Moment nie mehr.» Erinnert an diesen Tag wird Mettler jeweils, wenn er in seinem Kraftraum in Unterwasser für die anstehenden Weltcup-Aufgaben schuftet. Während schweisstreibenden Einheiten kann er den Blick auf verschiedene Startnummernleibchen schweifen lassen, mit denen er seine bislang wertvollsten Resultate herausgefahren hat. Neben anderen hängt da auch jene «44» an der Wand, mit der er am 20. Januar 2023 auf der Streif erfolgreich unterwegs war.

Für Übungen im Kraftraum muss sich Mettler mitunter überwinden, viel lieber unternimmt er Trainingsaktivitäten im Ausdauerbereich. Gleichwohl weiss er, dass sein grösstes Verbesserungspotenzial im Kraftbereich liegt, was ihm letztlich auf den Ski beim Aufbau von Geschwindigkeit zupasskommen soll. Künftig will Mettler aus den Schwüngen noch mehr Tempo mitnehmen – Rumpfstabilität und Explosivkraft sind hierfür wichtige Grundlagen.

Fünf Monate zwischen Schädelbruch und Triumph

Zweifelsohne wird die kommende Weltcup-Saison für den Anhänger des FC St. Gallen eine grosse Prüfung, jedoch keine so immense wie jene, die er vor etwas mehr als drei Jahren zu bewältigen hatte, als er im Sommertraining in Zermatt nach einem Sturz im Super-G einen Schädelbruch, ein Schädel-Hirn-Trauma sowie eine Herzprellung erlitten hatte. «So schrecklich der Sturz auch war: Für mich war schnell klar, dass ich mich zurückkämpfen werde. Ich bin mir des Risikos, das der Rennsport mit sich bringt, bewusst.» Nur fünf Monate später, Mitte Januar 2021 beim Super-G in Zinal, stand Mettler erstmals im Europacup zuoberst auf dem Podest. Schatten und Licht: wie so oft im Sport nah beisammen.

Der Skirennsport hat in der Familie Mettler nicht seit jeher den grossen Stellenwert, den er nun wegen der Erfolge des zweitjüngsten von vier Kindern geniesst. «Dass wir Kinder früh das Skifahren erlernten, war für meine Eltern in gewisser Weise Mittel zum Zweck, denn sie wollten mit uns auf Skitouren gehen.» Durch die älteste Schwester, die jeweils von der Skischule in Alt St. Johann und vom Skiclub schwärmte, wurde Josua nach und nach mit dem Ski-Virus infiziert. Vor und nach den Skiclub-Trainings war er stets selber auf den Pisten am Fusse der Churfirsten unterwegs. Vor dem Fernseher fieberte er als Kind insbesondere mit Carlo Janka und Didier Cuche mit – ebenso mit dem berühmtesten Sportler seiner Heimat: Simon Ammann. Der viermalige Olympiasieger im Skispringen gehört nicht nur dem gleichen Skiclub (SSC Toggenburg) wie Mettler an, sondern stammt auch aus dem gleichen Dorf. «Die Empfänge für Simon nach dessen WM-Titel 2007 und dem Doppel-Olympiasieg 2010 waren für uns in Unterwasser riesige Highlights.»

Ein Highlight, auf das Josua Mettler seit einigen Jahren hinarbeitet, steht Ende Oktober auf dem Rettenbachgletscher ob Sölden an: der Prolog zur Weltcup-Saison 2023/24 – mit ihm als Fixstarter. Erstmals wird Mettler bei einem Weltcup-Riesenslalom am Start stehen, in jener Disziplin, in der er sich aufgrund seiner Körpergrösse (174 cm) «ein wenig besser aufgehoben» fühlt als im Speed-Bereich.

Mettler möchte jedoch weiterhin in allen drei Disziplinen starten. «Ich brauche diese Abwechslung. Auf mentaler Ebene macht es dies für mich einfacher, weil man nicht ständig am Gleichen herumtüftelt und arbeitet.» An Herausforderungen wird es Josua Mettler im kommenden Winter keinesfalls mangeln. Das nächste Kapitel auf dem sportlichen Weg nach oben bringt jede Menge Abwechslung.