Die Skischnellmacher

Zurück
Drei Stöckli-Servicemänner am Lauberhorn: Ivo Zihlmann, Sepp Lauber und Chris Lödler (von links). Bild: Swiss-Ski/ Stephan Bögli
Drei Stöckli-Servicemänner am Lauberhorn: Ivo Zihlmann, Sepp Lauber und Chris Lödler (von links). Bild: Swiss-Ski/ Stephan Bögli

Damit Marco Odermatt und seine Markenkollegen brillieren können, ist der Skifirma Stöckli kein Aufwand zu gross.

Am Vorabend des ersten Rennens am Lauberhorn im Keller des Schweizer Teamhotels Victoria-Lauberhorn: Lange Ski, so weit das Auge reicht, den Wänden entlang aufgereiht, fein säuberlich sortiert. Männer, die Schürzen tragen und mit Bügeleisen und Werkzeugen hantieren, emsig und konzentriert. Manche Arbeitsschritte führen sie mit der Präzision von Uhrmachern aus. Sie reinigen, träufeln Wachs auf den Belag, bügeln ein, ziehen ab, bürsten aus, schleifen, feilen, montieren, stellen ein.

Wir sind im Skiraum, dem Reich der Servicemänner, für die eine Saison auch eine Tournee von einer temporären Werkstatt zur nächsten ist, von Keller zu Container zu Tiefgarage, dazwischen immer wieder tonnenweise Material einpacken, einladen, transportieren, ausladen, auspacken. In Wengen arbeiten alle Servicemänner der Schweizer Fahrer – egal, ob von Swiss-Ski oder einer Skifirma angestellt – im gleichen Raum. Grossraumbüro- Groove im Untergeschoss. «Manchmal wäre man lieber für sich», sagt Ivo Zihlmann von Stöckli. So kollegial der Umgang unter Serviceleuten auch ist: Jede Firma hat ihre Betriebsgeheimnisse. Wenn es um die Finessen ihres Metiers geht, tendieren die grossen Meister des Tunings zu Verschwiegenheit statt Redseligkeit.

Ein Trio für ein Trio

Ivo Zihlmann ist neben Chris Lödler der zweite Servicemann von Marco Odermatt. Deren Stöckli-Kollege Sepp Lauber kümmert sich um das Material von Alexis Monney und Marco Kohler, für den die Saison am Lauberhorn auf brutale Art enden sollte. Lars Rösti, der vierte Stöckli-Abfahrer in der Schweizer Weltcup-Mannschaft, wird von einem sogenannten Pool-Servicemann betreut, der markenübergreifend für Swiss-Ski arbeitet. Vor allem im Kreis der drei Stöckli-Angestellten und ihrer Athleten ist der Austausch intensiv und die Zusammenarbeit eng. Die Aufsteiger Monney und Kohler, aber auch der Neuzugang Rösti profitieren von den grossen Anstrengungen, die Stöckli unternommen hat, um Odermatt unabhängig von Austragungsort und Verhältnissen Topmaterial zur Verfügung stellen zu können. Und für Odermatt ist es hilfreich, mehr team- und markeninterne Vergleichswerte und Anhaltspunkte zu haben. «Mit nur einem Athleten wäre es oft viel schwieriger, eine Situation einzuschätzen», sagt Chris Lödler.

Lödler arbeitet seit 13 Jahren bei Stöckli und noch länger als Servicemann. Vor Odermatt betreute der Vorarlberger etwa Anja Pärson, Viktoria Rebensburg, Elisabeth Görgl, Fabienne Suter oder Fränzi Aufdenblatten. 2016 übernahm er Odermatt, der gerade seinen ersten Junioren-WM-Titel gewonnen hatte. Bei Stöckli setzten sie früh auf den Nidwaldner und sein Potenzial – und rückten ihn ins Zentrum eines Neuaufbaus auf der Männerseite. Dem Grünschnabel einen so renommierten Servicemann wie Lödler zu geben, war ein deutliches Statement. Seither haben die beiden einen Meilenstein nach dem andern erreicht.

Lödler begleitet Odermatt überallhin, oft chauffiert er ihn. Als Odermatt auch in der Abfahrt immer stärker und der Gesamtweltcup zum Thema wurde, stiess Ivo Zihlmann dazu. Er war zunächst Teil des Testteams und ist mittlerweile an allen Speed-Rennen dabei. Wenn Riesenslaloms auf dem Programm stehen, bereitet Zihlmann schon die Ski für die nächste Speed-Station vor. «Wenn wir wie hier in Wengen beide dabei sind, teilen Chris und ich ein Zimmer. Oft diskutieren wir auch dort noch über unser Material», sagt Zihlmann. «Das meiste Wissen ist nicht in einer Datenbank abgespeichert, sondern in unseren Köpfen.»

In Wengen hat die Stöckli-Crew weniger Ski dabei als üblich – die Lauberhornrennen sind auch für die Serviceleute eine besondere logistische Herausforderung. «Aber dank der Unterstützung des Zivilschutzes funktioniert der Verlad auf die Wengernalpbahn in Lauterbrunnen unten sehr gut», sagt Lödler. Für Odermatt, Monney und Kohler haben er und seine Kollegen rund 30 Paar Abfahrts- und 15 Paar Super-G-Ski ins autofreie Wengen mitgenommen; etwa 15 weitere Paar sind als Reserve im Parkhaus in Lauterbrunnen geblieben. Noch mehr Material wird während der Lauberhorn-Woche im Hinblick auf die nächsten Rennen getestet, und zwar auf dem Jaunpass, dem Heimgebiet des langjährigen Swiss-Ski-Servicemanns Stefan Thöni, der das Stöckli-Testteam leitet.

Früher Maze, heute Odermatt

Verantwortlich für die Crew in Wengen ist Beni Matti. Der 43-jährige Berner Oberländer fuhr selber einige Weltcup-Rennen, 2006 auch die Lauberhornabfahrt. Nun steckt Matti mitten in seiner 15. Saison als Stöckli-Angestellter. Er begann im Testteam und war danach während sieben Jahren Rennsportleiter. Weil er lange genug aus dem Koffer gelebt hat, entscheid sich Matti im vergangenen Jahr, innerhalb des Unternehmens in den Verkauf zu wechseln. Neuer Rennsportleiter ist nun Marc Gisin, der in seinem ersten Winter allerdings noch Teilzeit arbeitet, um parallel sein Studium abzuschliessen. In Wengen fehlt Gisin wegen Prüfungen, Matti vertritt ihn.

Beni Matti hat in all den Jahren schon einmal miterlebt, wie bei Stöckli um eine grosse Figur herum ein starkes Team aufgebaut wurde. Die grosse Figur war Tina Maze, die den Gesamtweltcup, zweimal Olympia- und viermal WM-Gold gewann. Mit Odermatt, dem Innerschweizer Star auf Innerschweizer Ski, wird diese Erfolgsgeschichte sogar noch getoppt. Matti sagt, am meisten beeindrucke ihn Odermatt mit der Gabe, «dass er sich brutal schnell auf etwas einstellen kann». Trainiere das Schweizer Team Riesenslalom, habe am ersten Tag «keiner eine Chance gegen Marco. Aber am dritten Tag ist er nicht mehr unbedingt der Schnellste.» Das zeugt von enormem Antizipationsvermögen und erklärt, warum Odermatt der Super-G dermassen liegt oder warum er nach drei Speed-Rennen in drei Tagen in Gröden am vierten und fünften Renntag in Folge die Riesenslaloms in Alta Badia für sich entscheiden kann.

Die Erfolgswelle ebbt auch in Wengen nicht ab. Am Donnerstag gewinnt Odermatt erstmals eine Weltcup-Abfahrt. Ein weiterer Meilenstein für ihn, ein weiterer Meilenstein für Stöckli – es ist der erste Abfahrtssieg für die Schweizer Marke am Lauberhorn. Doch die Freude der Beteiligten wird bald nach der grandiosen Fahrt arg gedämpft, in die Gefühlswelt mischt sich Bestürzung. Marco Kohler, einer von Odermatts besten Freunden, ist mit siebtbester Zwischenzeit unterwegs, ehe er stürzt und mit dem Helikopter abtransportiert werden muss. Kurz bevor am Abend die Diagnose bekannt wird – Kreuzbandriss und Meniskusriss im rechten Knie – sagt Beni Matti im Teamhotel: «Dass wegen zwei Stöckli-Fahrern die Gefühle am gleichen Tag so extrem auseinandergehen, habe ich wohl noch nie erlebt.»

Am Samstag doppelt Marco Odermatt in der Originalabfahrt nach, während Marco Kohler in der Klinik Hirslanden in Zürich operiert wird. Kohler kennt sich mit schweren Rückschlägen besser aus, als ihm lieb ist. Immerhin weiss er, dass auch seine Skifirma alles tun wird, um ihm die Rückkehr so einfach wie möglich zu machen.

Wie ist der Schnee heute? Die Besichtigung ist auch für die Servicemänner wichtig. Bild: Swiss-Ski/ Stephan Bögli

Links

Dieser Artikel ist im «Snowactive» ersterschienen, dem Verbandsmagazin von Swiss-Ski.

Möchtest du das Magazin viermal jährlich direkt in deinen Briefkasten geliefert kriegen? Dann werde noch heute Swiss-Ski Mitglied und profitiere neben hochwertigem Lesestoff auch von zahlreichen anderen Vergünstigungen und Angeboten.

Jetzt Mitglied werden