Peter Willen – Mr. Adelboden II

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OK-Präsident Peter Willen lauscht der bundesrätlichen Stimme von Johann Schneider-Ammann.

Offiziell trägt er den sperrigen Titel «Präsident OK und Weltcup Adelboden AG». In der Realität ist Peter Willen einfach der Chef der Weltcup-Skirennen im Wildstrubel-Dorf. Oder volkstümlicher: Mr. Adelboden II, als Nachfolger des legendären Fred Rubi. Die abenteuerliche Geschichte einer Wachtablösung.

Der im Archiv liegende Brief mit geharnischtem Inhalt, den Fred Rubi am 11. Januar 1994 an die Redaktionen faxte, ist schon fast vergilbt. «Es verstösst gegen Treu und Glauben», donnerte er, «uns wenige Tage vor dem Veranstaltungstermin ein Rennen wegzunehmen, obwohl sich die Piste in rennbereitem Zustand befindet.»

«Irgendein junger Deutscher»

Peter Willen, während 13 Jahren als Büro- und Marketing-Chef quasi Adjunkt von Kurdirektor und Rennorganisator Rubi, erklärt die Hintergründe: «Rubi wollte unbedingt auf der Chuenisbärgli-Ausweichstrecke Tschentenalp das Rennen durchführen. Bis irgendein junger Deutscher – so Rubis Wahrnehmung – bestimmte: Njet – auf der Tschentenalp werden aus Gründen mangelnder Infrastruktur und schwieriger Zufahrt keine Weltcuprennen mehr gefahren.» Der junge Deutsche hiess übrigens Günter Hujara, neu installierter Renndirektor der FIS.

Kein Zürcher den Berg hinauf

Dessen Vorbehalte waren Rubi bekannt. Aber er glaubte, am längeren Hebelarm zu sitzen, da er eine TV-Übertragung garantieren konnte und beste Verbindungen zu höchsten FIS-Gremien besass. Als das Fernsehen im Sommer eine Inspektion machte, diktierte er den TV-Verantwortlichen: «Kommt mit dem Übertragungswagen. Aber in Adelboden wechseln wir den Chauffeur aus. Dann übernimmt einer von uns das Steuer. Ein Zürcher kommt da nicht den Berg rauf.»

Er lernte viel von Fred Rubi

So tickte Fred Rubi, studierter Nationalökonom, ein Philantrop mit grossem Herz. Es kam vor, dass er einem armen Kerl im Dorf spontan eine Fünfziger-Note zusteckte und sagte: Nimms, du kannst es gebrauchen. 20 Jahre sass er im Nationalrat, als Sozialdemokrat mit durchaus autokratischen Zügen. «Er organisierte die Rennen als One-Man-Show», blendet Peter Willen zurück: «Ich war die ganze Zeit, die ich bei ihm arbeitete, nie involviert. Aber ich lernte viel von ihm, menschlich und beruflich. Wir mochten und schätzten uns.»

Der Anfang

1989 ging Willen vom Verkehrsverein weg und kaufte zusammen mit seiner Frau das Hotel Bären: «So wurde Rubi vom Chef zum Kollegen. Aber er hat mich immer noch ein bisschen herumkommandiert. Jetzt gehst du dorthin, machst das. Bis ich ihm zu erklären versuchte: Fred, ich arbeite jetzt in meinem Hotel ...» Trotz Interventionen bei FIS-Präsident Marc Hodler und Direktor Gian-Franco Kasper konnte er die Absage des Rennens und die Verlegung nach Crans-Montana nicht verhindern.
«Für Rubi war das die schwerste Niederlage seines Lebens», sagt Willen. Und für Willen selber eine Zäsur und der Anfang eines Stücks Sportgeschichte.

Die Nachfolge

«Du kommst mit mir nach Crans-Montana», eröffnete Rubi seinem Ex-Mitarbeiter in gewohnt  freundlich-bestimmten  Befehlston. «Ich ging mit», erzählt Willen. «Als erstes be- suchten wir dort die Mannschaftsführersitzung.» Rubi setzte sich sich in die erste Reihe, ergriff das Wort und putzte allen die Kutteln. «Ich selber», so Willen, «hatte mich in die hinterste Ecke des Saales verdrückt.» Nach der Sitzung kam die nächste Befehlsausgabe: «Du schläfst dann bei mir im Doppelzimmer. Rubi hatte in seinem Frust sicher gegen zwei Flaschen Weisswein getrunken. Als wir die Lichter gelöscht hatten und ich am Einschlafen war, tönte es vom Nachbarbett: Du wirst dann mein Nachfolger.» Sinngemäss entwickelte sich in etwa folgender Dialog: Willen: «Das kann ich dir jetzt spontan nicht zusagen.» Rubi: «Dann überleg bis am Morgen.» Willen: «Ich habe ein Hotel, eine junge Familie. Ich möchte zuerst noch mit meiner Frau reden.» Rubi, noch einen Zacken zulegend: «Du musst! Und Roland Lymann muss auch.» (Das war der neue Kurdirektor von Adelboden.) Rubi weiter: «Und Erwin Josi muss auch.» (Der ehemalige Top-Abfahrer war damals bereits Rennleiter.) Immer noch Rubi: «Und Hans Pieren hat auch Zeit. Der soll ebenfalls helfen.» (Der Riesenslalomspezialist hatte ein Jahr zuvor seine Karriere beendet.)

Das neue OK

Das neue OK war geboren, im Dunkeln eines Hotelzimmers kurz vor dem Einschlafen. «So», erzählt Willen weiter, «sind wir vier mal zusammengesesssen und haben uns als erstes bei Hujara erkundigt, ob wir mit Adelboden überhaupt noch eine Chance haben. Seine Antwort: Selbstverständlich, aber die Vorgaben sind klar.»
Willen: «Also packten wir die Sache an und sagten uns: Es muss ein Skifest werden. Bei Rubi gab es einfach das Skirennen, eine paar Toko-Fähnchen, eine gute Piste, ein funktionierende Zeitmessung und schnellstmöglich eine Rangliste. Mehr wollte er nicht, nicht einmal einen Würstchenstand.»

So werden Rennen finanziert ...

Willen erinnert sich an eine Episode: «Irgendwann in den Achtzigerjahren klagte Rubi: Das ist ja wahnsinnig, jetzt kostet mich das Rennen schon über 100 000 Franken. Das kann ich nicht mehr finanzieren.» Er telefonierte einem Kollegen, Direktor beim Bankverein, und sagte in seiner freundschaftlich-ultimativen Art: «Du musst mir helfen, ich brauche Geld – du hast genug. Der Schriftzug auf der Startnummer kostet für die nächsten drei Jahre drei Mal 30 000 Franken.» Der Kollege offerierte ihm grosszügig fünf Mal 40 000 Franken. «Ich sehe», so Willen, «Rubi heute noch. Er hängte das Telefon auf, zündete sich eine Zigarre und sagte: Die Rennen sind finanziert.»
Bei der Absage jenes Tschentenalp-Rennens betrug das Budget 350 000 Franken. Das neue OK begann 1995 mit einer halben Million. Inzwischen ist es auf fünf Millionen, das Zehnfache, gestiegen. Willen: «Wir haben sofort gemerkt: Mit einem Dienstagtermin haben wir keine  Überlebenschance.»

«Adelboden» vor dem Abgrund

Also nahm das neue OK-Quartett die Arbeit in Angriff und bereitete gemäss Hujaras Vorgaben das Rennen 1995 vor. Aber um die Welt ging letztlich nur ein Bild: Wie Hujara demonstrativ die Skienden bis zur Bindung in den Schnee hackte. Die Piste war zu weich. Wieder Absage. Das wars wohl mit Adelboden, dachten die vier. Bis Willen ein paar Wochen später von Hujara aus der Sierra Nevada, wo wegen Schneemangels gerade die WM abgesagt worden war, einen Anruf bekam: Seid ihr als Ersatzort am 4. Februar bereit, einem Samstag? Willen und Co. waren. Trotz Regen ging das Rennen einwandfrei über die Bühne – mit Alberto Tomba als prominenten Sieger.

Die neue «Ära»: der Adelbodner Skitag

Die neue Ära war angebrochen. Startnummern-Auslosung mit Unterhaltung im Dorf, ein Festzelt mit Musik, ein VIP-Zelt, mit Schneeboden und mit Festhütten-Tischen – vieles noch rudimentär. «Aber es hat funktioniert», konstatierte Willen, inzwischen auch Gemeindepräsident (für acht Jahre, nach acht Jahren Vize). Später ergänzten Cheerleaders des SC Bern das Programm, das Weltcup-Dörfchen wuchs, ein Slalom kam dazu und der Weekend-Termin wurde in Stein gemeisselt. Der Adelbodner Skitag entwickelte sich zu einem Mega-Event mit über 40 000 begeisterten Zuschauern. Sogar Wengen kopierte viele Elemente der innovativen Nachbarn.

DER Riesenklassiker schlechthin

Adelboden ist d e r Riesen-Klassiker schlechthin. Das erfüllt Willen und sein OK, dessen Besetzung einige Mutationen erfuhr, mit Stolz. Auch wenn die Wertschätzung manchmal zu wünschen übrig lässt. Nach vielen Jahren der Fronarbeit und einer symbolischen Abgeltung besteht inzwischen ein System, das den Aufwand, der für die einzelnen OK-Mitglieder zwischen 300 und 1000 Stunden beträgt, halbwegs adäquat entschädigt.

Strukturelle Anpassungen sind aber unumgänglich, «sonst», so Willen, der sein Hotel Bären heuer verkauft hat, «kommt die Zeit, wo die Organisation nicht mehr selbsttragend ist.» Entsprechend formuliert Willen (62) seine Vision: «Meinem Nachfolger dereinst eine gute funktionierende Organisation zu übergeben. Und dass der Event weiter an Akzeptanz gewinnt und Bestand haben wird.»

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