Ein Hundertstel - doppelte Wirkung

Zurück

Ein Hundertstel - ein Hauch von Zeit. Im olympischen Super-G der Frauen einer mit grosser Wirkung.

Der Hauch entschied am Samstag in Jeongseon gleich doppelt. Zweimal war er Trennlinie zwischen Glückseligkeit und Verbitterung. Der Hundertstel machte die Tschechin Ester Ledecka zur Sensations-Olympiasiegerin und stempelte Lara Gut zur grossen Verliererin. Im Kampf um die Bronzemedaille war der zeitliche Winzling auf der Seite der Liechtensteinerin Tina Weirather.

Lara Gut wollte endlich Gold an einem Grossanlass. Nach Olympia-Bronze in der Abfahrt vor vier Jahren sowie dreimal Silber und zweimal Bronze an Weltmeisterschaften schien die Zeit reif. Der Sieg war das logische Ziel einer Fahrerin, die sich im Weltcup ein Jahr nach einem Kreuzbandriss bereits wieder ganz vorne an der Spitze etabliert hatte und als Führende in der Super-G-Wertung nach Südkorea gereist war.

Die Realität war eine andere, eine sehr bittere. Lara Gut verpasste nicht nur um einen Hundertstel die Bronzemedaille, sondern auch um bloss zwölf Hundertstel den Olympiasieg. "Es tut weh", sagte die Tessinerin im Zielraum mit leiser Stimme. Sie trug eine Skibrille. Von ihrer Gefühlswelt wollte sie so kurz nach dem enttäuschenden Verdikt so wenig wie möglich preisgeben. Die Tristesse war ihr aber auch ohne den Blick in die Augen anzumerken.

Dass der eine Hundertstel zu ihren Gunsten entschieden hat, darf Tina Weirather getrost als ausgleichende Gerechtigkeit betrachten, denn Olympia hatte ihr bisher überhaupt kein Glück gebracht.

Bei den Spielen 2006 in Turin hatte die Tochter von Hanni Wenzel und Harti Weirather als 16-jähriges Mädchen bei einem Sturz in der Abfahrt eine Innenbandzerrung am rechten Knie und eine Kapselverletzung am rechten Daumen erlitten. Vier Jahre danach war sie erst gar nicht nach Vancouver gereist, nachdem sie sich kurz vor der Abreise nach Kanada in der Weltcup-Abfahrt in Cortina d'Ampezzo einen (dritten) Kreuzbandriss im rechten Knie zugezogen hatte. Vier weitere Jahre danach in Sotschi kam das Aus vor Ort. Eine im Abfahrtstraining erlittene Knochenprellung am rechten Schienbeinkopf liess keine rennmässigen Einsätze zu.

"Irgendwann kommt alles zurück", hatte Tina Weirather im Verlauf dieses Winters gesagt. Zwölf Monate nach dem Gewinn der WM-Silbermedaille und der Weltcup-Wertung im Super-G wurde sie nun auch bei Olympia entschädigt.