Der Direktor Ski Alpin im Interview

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Mélanie Meillard

Der erste Sieg lässt zwar noch auf sich warten, das Schweizer Alpin-Team hat aber einen aussergewöhnlich guten Saisonstart hingelegt. In den ersten drei Rennen haben unsere Athleten grosses Potenzial gezeigt, die Zeichen stehen gut für die laufende Saison. Stéphane Cattin, Direktor Ski Alpin von Swiss-Ski, erzählt in einem Interview von diesem hervorragenden Saisonstart und welche Massnahmen im Vorfeld getroffen wurden, um die Saison optimal vorzubereiten.

Bei den ersten drei Rennen konnten mehrere Athleten ihre Karrierebestleistungen in einem Weltcup erzielen. Die Slalom-Gruppe hat in Levi sogar ein historisches Resultat erreicht, mit drei Athleten in den Top 6 und vier in den Top 10. Warst du von diesen Resultaten überrascht?
Angesichts der enormen Arbeit, welche die Athleten und ihre Trainer investiert haben, bin ich überhaupt nicht überrascht. Alle unsere Athleten und ihre Trainer arbeiten professioneller – heutzutage ist die Professionalität für die Erreichung von Spitzenplätzen wie in den ersten beiden Weltcups ein strategischer Faktor. Das heisst jedoch nicht, dass dadurch der Erfolg auch garantiert ist. Es muss weiterhin fleissig gearbeitet und einen kühlen Kopf bewahrt werden, vor allem in den besonders schwierigen Momenten.

Es ist wichtig, dass man den aufgestellten Arbeitsgrundlagen weiterhin vertraut, sonst läuft man die Gefahr in eine Spirale des Zweifels zu gelangen. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass unsere Teams einen grossen Sprung nach vorne geschafft haben, wir müssen jetzt aber wachsam bleiben und weiterhin davon überzeugt sein, dass wir in die richtige Richtung arbeiten.  

Was fehlt den Slalomfahrern, um einen ersten Podestplatz zu erzielen?
Wenn ich mir das Niveau aller am Start stehenden Athleten anschaue, kann ich bereits jetzt versichern, dass die Zeitunterschiede minim sein werden. Wir sprechen hier von wenigen Hundertstelsekunden, die uns noch vom Podest trennen. So wie unsere Techniker Slalom fahren, fehlt garantiert nicht mehr viel und sie werden schon bald auf dem Podest stehen. Um einen Podestplatz zu erreichen – insbesondere im Slalom – muss man in jeder Kurve auf Risiko gehen.

Das ist genau die Haltung, die unsere Slalomfahrer in den Rennen in Levi an den Tag gelegt haben. Dieses Engagement gefällt mir sehr. Es spiegelt die enorme Arbeit wider, die die Athleten und Trainer während der Vorbereitungszeit geleistet haben. Dieses Engagement muss zu einer Arbeitsphilosophie werden. Wir müssen so weitermachen und diese Philosophie in unserer Sportkultur verankern. Wenn wir diese Einstellung beibehalten können, dann erreichen wir auch bald einen Podestplatz.

Wendy Holdener wurde Dritte im Slalom in Levi, es ist ihr elfter Podestplatz in dieser Disziplin. Den Sieg hat sie wieder verpasst. Denkst du, dass sie in dieser Saison den ersten Platz holen kann?
Auch hier kann ich versichern, dass Wendy sehr bald auf dem obersten Treppchen stehen wird. Ich betone aber, dass der Handlungsspielraum winzig klein ist. Wendy hat, wie die anderen Fahrerinnen, ein enormes Potenzial. Aber der Slalom ist eine undankbare Disziplin, die keinen Fehler verzeiht. Man muss ständig Risiken eingehen. Wenn man Risiken eingeht, muss man diese gut dosieren können und vor allem Vertrauen haben.

Die richtige Dosierung kann nur durch eine optimale Vorbereitung gelernt werden. Ich bin überzeugt, dass unsere Teams sich intensiv damit auseinandergesetzt haben, um mit diesen Risiken umzugehen und im Rennen nicht auszuscheiden. Ich habe die Bemühungen und die Grundlagenarbeit im Sommer selbst beobachtet und bin zuversichtlich, da ich weiss, dass Wendy und die Teams hart in diesem Sinne gearbeitet haben.

Im Riesenslalom in Sölden war Mélanie Meillard (19) auf dem Weg zu ihrer Bestleistung, als sie stürzte. Drei Wochen später konnte sie ihre Bestleistung mit einem fünften Platz im Slalom in Levi wiederholen. Sie vertritt die neue Generation, die in einem Rennen nach dem anderen immer wieder ein vielversprechendes Potenzial zeigt. Sie konnte von der neuen Struktur profitieren, die Swiss-Ski in den letzten Jahren aufgestellt hat, um ihre Entwicklung zu fördern. Kannst du uns mehr über diese Struktur erzählen?
Ich spreche lieber von der Entwicklung der Struktur als von einer Änderung. Der Hochleistungssport weist gewisse Ähnlichkeiten mit der Berufswelt auf. Man darf sich nie auf dem bereits Erreichten ausruhen, man muss immer an die Zukunft denken und die Strategie weiterentwickeln. Bevor man überhaupt ein Ziel erreicht hat, muss man bereits einen Plan für zukünftige Ziele haben. In der Strategie im Sport ist das ein wichtiger Punkt.

Um auf die Leistungen von Mélanie Meillard zurückzukommen: Ja, wir können hier von einer neuen Generation sprechen. Wir müssen uns an diese neue Generation anpassen können und unsere Strukturen mit ihr weiterentwickeln. Jeder Athlet ist anders und funktioniert anders. Die Kunst des Coachings ist es, das ideale System zu finden, das jeden Athleten entsprechend seiner Bedürfnisse weiterbringt und dies im Rahmen eines Teams. Denn ohne Team ist dies Arbeit sehr viel komplizierter oder gar unmöglich. Der Teamgeist spielt in der sportlichen Entwicklung eines jeden Athleten eine sehr wichtige Rolle, er schafft ein „Wir-Gefühl“ und gibt bei stagnierenden Leistungen dem Athleten den notwendigen Halt.       

Alle Athleten haben eine hervorragende Planung bei der Sommervorbereitung und optimale Trainingsprogramme beschrieben. Kannst du uns genauer sagen, welche Anpassungen und Verbesserungen dieses Jahr bei den Vorbereitungen vorgenommen wurden?
Wir haben nicht nur Anpassungen vorgenommen. Ich spreche gerne von einem Kulturwandel. Unsere Athleten haben ihre körperliche Leistungsfähigkeit wesentlich verbessert. Eine optimierte und intensive körperliche Vorbereitung ist unerlässlich geworden. Unsere Athleten und Trainer haben diesen Prozess alle verstanden und auch ihr Niveau an Professionalität erhöht. Wir arbeiten präzise und systematisch an dieser Vorbereitung, dazu haben wir verschiedene Massnahmen getroffen. Diese Massnahmen sind individuell zugeschnitten, bleiben aber innerhalb einer Struktur, so können wir die Entwicklung weiterhin kontrollieren. Auf die Details dieser Massnahmen möchte ich nicht genauer eingehen – ein Koch teilt schliesslich auch nicht sein Geheimrezept.

Swiss-Ski hat ein gutes Rezept gefunden und wir müssen nun in diese Richtung weiterarbeiten, um unsere Ziele zu erreichen. Dieser Betrieb entspricht einer Grundstimmung und einer gemeinsamen Kultur, die wir nun täglich nach unseren eigenen Bedürfnissen weiterentwickeln müssen. Es wäre gefährlich, wenn wir nun in eine Phase der Selbstzufriedenheit gelangen würden, das würde Stagnierung und schliesslich Rückgang bedeuten. Diese Kultur des Vorantreibens und der Innovation ist bei allen Teams sehr gut verankert, was mich sehr freut.      

Diese Woche in Lake Louise stehen die Zeichen wieder auf Geschwindigkeit. Können wir wieder eine ähnliche Gruppenleistung erwarten?
Ich möchte mich nicht auf gefährliches Terrain begeben und Vorhersagen wagen. Aber ich kann versichern, dass die Speed-Spezialisten von einer optimalen Vorbereitung profitiert haben. Sie haben sehr hart gearbeitet, um für die anstehenden Termine bereit zu sein. Das „Wir-Gefühl“ ist auch in den Speed-Teams gut integriert. Aber auch die Speed-Disziplinen haben ihre Eigenheiten und Finessen. Ziemlich viele Faktoren hängen nicht nur von den Athleten ab. Man vergisst oft, dass die externen Faktoren ein Resultat beeinflussen können, und allzu oft werden sie den Leistungen der Athleten angerechnet.

Wir versuchen mit verschiedenen Massnahmen, die externen Faktoren weitestgehend zu kontrollieren. Es kann sich dabei beispielsweise um die Wetterbedingungen handeln, die wir zum guten Glück nicht kontrollieren können. Wir können sie zwar nicht beeinflussen, wir können aber damit umgehen und die Witterungsänderungen mit verschiedenen Geräten voraussehen.

Wir arbeiten auch stetig am Material. Zudem haben wir verschiedene Massnahmen getroffen, um die Athleten zu unterstützen. Ich möchte aber keineswegs die Leistungen der Speed-Athleten herunterspielen. Sie haben sich alle sehr sorgfältig vorbereitet und ich bin überzeugt – vor allem auch nach den guten Resultaten an der WM in St. Moritz und am Europacup in der vergangenen Saison – dass wir in unserem Team sehr talentierte Athleten zählen, die auf Erfolg aus sind. Es ist alles eine Frage der Geduld und der Hartnäckigkeit.

Wie konnten sich die Speed-Spezialisten eigentlich auf die Rennen in Lake Louise vorbereiten, wo doch das Training von einem tragischen Unfall letzte Woche überschattet wurde?
Ich möchte nicht noch einmal auf diesen tragischen Unfall zurückkommen, der uns alle sehr betroffen hat. Das Leben ist manchmal sehr hart und holt uns allzu oft wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.

Wir müssen aber nach vorne schauen und genau das hat das gesamte Team auf sehr professionelle Weise getan. Wie ich bereits erklärt habe, beginnt die Vorbereitung im Sommer. Wir haben im Sommer von den idealen Infrastrukturen auf den Gletschern von Zermatt und Saas-Fee profitiert. Dank der Unterstützung der Bergbahnen und des NASAK (Nationales Sportanlagenkonzept) hatten wir die idealen Rahmenbedingungen für die Sommervorbereitung. Die Wetterbedingungen im Herbst bieten keine Garantie für ein effizientes Höhentraining. Da können wir auf die Unterstützung von Skigebieten wie Zinal oder Diavolezza zählen. Dort haben wir verschiedene Massnahmen umgesetzt für eine optimale Durchführung unserer Trainings.

Die Nachwuchsathleten profitieren ebenfalls von diesen Massnahmen, so können wir uns den Fortbestand des „Athleten-Reservoirs“ in den Speed-Disziplinen sichern. Für die abschliessende Vorbereitung im Hinblick auf die ersten Rennen dieses Wochenende in Lake Louise konnten die teilnehmenden Athleten von idealen Trainingsbedingungen in Kanada profitieren. Diese finale Phase wurde im Skigebiet Panorama durchgeführt, dort wurde alles unternommen, damit wir den letzten Schliff vor den anstehenden Terminen in Lake Louise holen konnten.   

In den Speed-Disziplinen scheint der Nachwuchs etwas dünner gesät, insbesondere bei den Frauen. Was wurde unternommen, damit sich die jüngeren Skifahrer vermehrt in den Speed-Disziplinen versuchen und dann in dieser Disziplin weitermachen?
Das stimmt, der Nachwuchs ist in diesen Disziplinen weniger dicht gestreut. Vor allem bei den Frauen ist diese Tendenz aber kein Schweizer Phänomen, sondern wird international festgestellt. Seit einigen Jahren arbeiten wir daran, die Kompetenzen unserer Trainer in den Speed-Disziplinen zu intensivieren. 

Beispielsweise organisieren wir gemeinsame Trainingstage, an denen wir alle Schweizer Nachwuchsathleten zusammenführen, die über die Grundfähigkeiten für Speed-Disziplinen verfügen. Damit können wir die ansonsten sehr komplizierte Organisation von Speed-Trainings einfacher gestalten. Sie bieten auch eine ideale Plattform für den Austausch zwischen Athleten und Trainer über die verschiedenen Kader hinweg. Auch hier können wir von der ausgezeichneten Zusammenarbeit mit den Bergbahnen sowie der finanziellen Unterstützung des NASAK profitieren.

Auf internationaler Ebene entscheidet jeder Verband selbst über seine Strategie. Innerhalb der OPA (Organisation der alpinen Länder) gibt es jedoch eine enge Zusammenarbeit, u. a. mit dem Ziel, die Speed-Disziplinen zu fördern. Die involvierten Länder organisieren jedes Jahr abwechselnd gemeinsame Trainingstage während etwa einer Woche. Dabei werden verschiedene Speed-Elemente behandelt. Zum Abschluss gibt es ein Rennen auf FIS-Niveau. Die Athleten profitieren während diesen Trainings von idealen Infrastrukturen und die Trainer können sich mit den verschiedenen Partnern vor Ort über Kompetenzen und Kenntnisse austauschen.

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