Tamara Wolf und Marine Héritier: Inspiration und Vorbilder für andere Frauen

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Marine Héritier ist seit Januar 2023 Direktorin bei Ski Valais, nota bene die erste Frau in dieser Funktion. Die ehemalige Skirennfahrerin Tamara Wolf gehört seit 2021 dem Präsidium von Swiss-Ski an, als erst zweite Frau in der bald 120-jährigen Geschichte des Schweizer Skiverbands. Beide Frauen zeigen, dass Frauen im Schneesport sehr wohl wichtige Führungsfunktionen innehaben können.

In unserem Interview sprechen Marine Héritier und Tamara Wolf darüber, woran es ihrer Erfahrung nach liegt, dass es im Schneesport nach wie vor nur wenig Frauen in leitenden Positionen gibt, welches die grössten Hürden sind und welche Ratschläge sie für junge Frauen, die eine Karriere in Führungspositionen anstreben haben, bereithalten.

Marine, Sie sind seit Januar 2023 Directrice bei Ski Valais und damit die erste Frau in dieser Funktion. Wie ist es dazu gekommen?

Marine Héritier: Nachdem ich viele Jahre für die Credit Suisse sowie Ernst & Young gearbeitet hatte, ergriff ich anfangs Jahr mit Begeisterung die Gelegenheit, Direktorin von Ski Valais zu werden. In dieser Funktion kann ich meine Leidenschaft für den Sport ideal mit meiner Erfahrung in der Wirtschaft und im Finanzwesen kombinieren. Dank der wertvollen Unterstützung aller Mitarbeitenden konnte ich innert Kürze meinen beruflichen Werdegang mit den spezifischen Kenntnissen des Skisektors ergänzen. Ich fühle mich geehrt, diese Position innehaben zu dürfen, und bin mir der Verantwortung, die ich trage, durchaus bewusst. Es ist mir zudem ein Anliegen, als Inspiration für Frauen zu dienen, welche ebenfalls Führungspositionen im Sport und insbesondere im Skisport anstreben, und ihnen zu zeigen, dass es möglich ist, Barrieren zu durchbrechen und Ambitionen zu verwirklichen.

Tamara, zehn Jahre nach Ihrem Rücktritt als aktive Skirennfahrerin sind Sie im Juni 2021 ins Präsidium von Swiss-Ski gewählt worden, als erst zweite Frau neben Florence Koehn. Was waren Ihre Beweggründe, sich als Kandidatin aufstellen zu lassen?

Tamara Wolf: Nach meiner sportlichen Karriere wollte ich mich zuerst auf meine Ausbildung und berufliche Laufbahn konzentrieren. Über einen Zeitraum von acht Jahren habe ich Schule und Arbeit parallel verfolgt, wodurch kaum Raum für weitere Engagements blieb. Dennoch war mir immer bewusst, dass ich in irgendeiner Form zum Sport zurückkehren möchte, da er eine enorme Bedeutung in meinem Leben hat. Als Co-Kommentatorin bei SRF wurde mir erneut klar, welche Leidenschaft ich noch immer für den Sport hege. Als nach dem Rücktritt von Urs Winkler eine Position im Präsidium von Swiss-Ski frei wurde, war dies der Auslöser für meine Ambitionen, mich in dieser Funktion für den Schneesport zu engagieren.

Marine und Tamara, Sie sind beide eher die Ausnahme denn die Regel, wenn es um Frauen in Führungspositionen geht. Warum tun sich Frauen Ihrer Meinung nach schwer mit Führungsfunktionen generell – und im Schneesport?

Tamara Wolf: Der Schneesport, insbesondere Führungsfunktionen im Schneesport, wird historisch von Männern dominiert. Wobei es zu erwähnen gilt, dass Swiss-Ski diesbezüglich vielen anderen Sportverbänden einen Schritt voraus ist: In der sechsköpfigen Geschäftsleitung war das Verhältnis Frauen/Männer bisher ausgeglichen, und im Präsidium sind mit Florence Koehn und mir seit 2021 erstmals in der Geschichte von Swiss-Ski zwei Frauen vertreten. Damit beträgt der Frauenanteil im strategischen Organ von Swiss-Ski rund 30%. Nun, weshalb fehlen Frauen in Führungsfunktionen überhaupt? Ich kann mir vorstellen, dass Frauen oftmals das Selbstvertrauen oder der Mut fehlt, sich dieser Herausforderung zu stellen. Es braucht ein bestimmtes Mass an Entschlossenheit, diesen Schritt zu wagen. Eine andere Thematik ist sicherlich die Vereinbarkeit mit der Familie und dem Beruf, welche Frauen davon abhält, eine Führungsfunktion anzustreben.

Marine Héritier: Meiner Meinung nach kann sogar von Vorteil sein, als Frau in einer solchen Führungsposition zu sein. Frauen bringen einen anderen Blick auf verschiedene Aspekte des Berufs mit und öffnen Türen für potenzielle Veränderungen. Zurzeit werden viele Anstrengungen unternommen, um die Chancengleichheit in allen Bereichen, auch im Schneesport, zu fördern und die Beteiligung von Frauen in Führungspositionen zu fördern. Ich denke dabei insbesondere an Sensibilisierung, Bildung, die Förderung und Sichtbarmachung inspirierender weiblicher Vorbilder sowie die Schaffung eines integrativen Umfelds und die Verabschiedung gerechter politischer Massnahmen.

Welche Herausforderungen sehen Sie beide für Frauen, die in Führungspositionen im Schneesport tätig sind?

Marine Héritier: Für mich hängen die Herausforderungen, die eine solche Position mit sich bringt, nicht vom Geschlecht der Person ab, die sie bekleidet. Ob Mann oder Frau, die Verantwortung ist dieselbe. Oftmals ist der Wettbewerbsaspekt der Sportwelt auch in der Berufswelt präsent. Eine Person in einer Führungsposition muss es daher schaffen, alle Mitarbeitenden auf eine gemeinsame Vision und gemeinsame Ziele einzuschwören.

Tamara Wolf: Ich pflichte Marine bei. Grundsätzlich sind die Herausforderungen für Frauen in Führungspositionen dieselben wie für die Männer. Ein Vorteil von Männern ist vielleicht, dass sie in der Regel besser vernetzt sind und sich untereinander mehr austauschen. Dies hilft sicherlich dabei, Ziele schneller und einfacher zu erreichen und Ideen umzusetzen. Im Präsidium von Swiss-Ski funktioniert die Zusammenarbeit indes sehr gut, meine Ideen und Inputs werden angehört und auch aufgenommen. Insbesondere den Austausch mit Florence Koehn schätze ich sehr, da sie bereits mehrere Jahre Erfahrung in dieser Rolle hat.

Wie können Frauen unterstützt werden, um ihre Karrieren im Schneesport zu fördern und in Führungspositionen aufzusteigen?

Tamara Wolf: Eine Möglichkeit, Frauen zu unterstützen, besteht darin, Beispiele erfolgreicher Frauen in Führungspositionen aufzuzeigen. Solche Vorbilder helfen, das Selbstvertrauen von Frauen zu stärken, und sie zu ermutigen, den Schritt zu wagen und die Herausforderung anzunehmen. Wichtig ist zudem ein Netzwerk aufzubauen, sich mehr zuzutrauen und auch klare Anforderungen zu stellen. Swiss-Ski ist sich dieser Thematik bewusst und hat im Herbst 2022 ein erstes «Get together» organisiert; ein zweites Forum folgt im September 2023. Das ist ein guter Rahmen, um gemeinsam Strukturen anzuschauen und Bedürfnisse umzusetzen. Wo es meines Erachtens aber noch grosses Potenzial gibt, ist bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Diesbezüglich müssen neue und innovative Lösungsansätze gefunden werden, damit all diejenigen, welche eine Führungsposition anstreben, auch die Möglichkeit dazu erhalten.

Marine Héritier: Ich bin ebenfalls der Meinung, dass die Sichtbarkeit von Frauen im Schneesport erhöht werden sollte. Es ist wichtig, erfolgreiche Frauen als Athletinnen, Trainerinnen oder Managerinnen hervorzuheben. Eine grössere Sichtbarkeit von weiblichen Vorbildern kann dazu beitragen, junge Frauen zu inspirieren und ihnen zu zeigen, dass auch sie in diesem Bereich erfolgreich sein können. Ferner ist es wichtig, eine Kultur der Chancengleichheit im Schneesport zu fördern. Das bedeutet, dass Frauen die gleichen Zugangsmöglichkeiten zu Arbeitsplätzen, Ausbildung und Ressourcen haben sollten wie Männer. Darüber hinaus müssen die berufliche Ausbildung und Entwicklung sowie der Aufbau von Netzwerken gefördert werden. Dies kann Mentoring, Networking-Events, Konferenzen und Foren umfassen.

Wie wichtig sind weibliche Vorbilder, beispielsweise als Mentorinnen, in dieser ganzen Thematik?

Tamara Wolf: Weibliche Vorbilder sind sehr wichtig. Durch das Teilen von Erfahrungen, Herausforderungen und Erfolgen können sie andere Frauen ermutigen, sich Herausforderungen zu stellen und ihre Ziele zu verfolgen. Aus diesem Grund ist es – wie bereits erwähnt – auch wichtig, Beispiele solcher Vorbilder aufzuzeigen. Zudem hilft es sicherlich, sich eine Mentorin zu suchen und Infos und Tipps bei einer anderen Frau abzuholen. In der Geschichte gibt es viele tolle Frauen, die auf der ganzen Welt sehr viel erreicht haben.

Marine Héritier: In der Tat, weibliche Vorbilder spielen eine wichtige Rolle für das Vorankommen von Frauen in Beruf und Sport. Sie inspirieren oder ermutigen andere Frauen, indem sie ihnen zeigen, dass es möglich ist, Hindernisse zu überwinden und ihre beruflichen Ziele zu erreichen. Ich für meinen Teil hatte auf meinem beruflichen Weg immer eine inspirierende Frau oder Mentorin. Also ein Vorbild, das inspiriert, seine Erfahrungen teilt und beim beruflichen Aufstieg anleitet.

Tamara und Marine, welche Empfehlungen oder Ratschläge haben Sie für junge Frauen, die eine Karriere in Führungspositionen anstreben – sei es im Schweizer Schneesport oder in anderen Bereichen?

Tamara Wolf: Habt den Mut, etwas zu wagen und aus eurer Komfortzone rauszukommen. Sucht euch eine Mentorin, die euch unterstützt. Tretet klar und selbstbewusst für eure Anliegen ein. Definiert eure Ziele und konkreten Anliegen und lasst euch nicht sofort vom Kurs abbringen. Übrigens: Auch von einer Niederlage kann man lernen und gestärkt herauskommen. Und vergesst eines nicht: Indem ihr neue und andere Perspektiven reinbringt, könnt ihr einen grossen Mehrwert bringen. Davon profitieren alle!

Marine Héritier: Wenn ich jungen Frauen in aller Bescheidenheit ein paar Tipps geben könnte, dann wären das folgende:

  • Seid ehrgeizig und setzt euch klare Ziele.
  • Investiert in eure persönliche und berufliche Entwicklung. Sucht nach Möglichkeiten, euch weiterzubilden, Mentorin zu werden oder eure Fähigkeiten zu erweitern.
  • Scheut euch nicht, Risiken einzugehen und lasst euch von der Angst vor dem Versagen unter keinen Umständen einschränken. Seid bereit, gegebenenfalls eure Komfortzone zu verlassen, Chancen zu packen und die Initiative zu ergreifen.   
  • Vertraut euch selbst: Vertraut auf eure Fähigkeiten und euren Wert. Unterschätzt euer Potenzial nicht und lasst euch auch nicht von allfälligen Zweifeln entmutigen.
  • Und denkt zu guter Letzt daran, dass jeder Weg einzigartig ist. Bleibt euch also treu und seid beharrlich. Manchmal schliesst sich eine Tür, damit sich eine andere öffnen kann.