Julia Hayoz: Mit gutem Bauchgefühl

Zurück
Gold- und Silber-Physio: Julia Hayoz betreute in PyeongChang auch Olympiasiegerin Sarah Höfflin und Medaillengewinnerin Mathilde Gremaud. Fotos: B & S

Julia Hayoz ist eine junge und engagierte Frau. Sie liebt ihren Beruf und Bauchentscheide. Die Freiburgerin ist Physiotherapeutin, hat eine eigene Praxis und bereits im zweiten Winter betreute sie die Freeskier von Swiss-Ski.

Man fühlt sich gleich wohl hier am Lindenweg in Gurmels. Julia Hayoz strahlt übers ganze Gesicht und zeigt stolz ihre kleine aber feine Praxis, die sie vor einem Jahr mit ihrer Jugendfreundin Annabel Hayoz eröffnet hat. Ich sitze im Therapieraum auf einer gemütlichen Couch, sie mir gegenüber. Das ist gewöhnlich die der Therapie vorausgehende Gesprächssituation mit ihren Kunden. Sie betrachtet den Menschen immer ganzheitlich und versucht im Gespräch zu erörtern, was dem gesundheitlichen Problem möglicherweise auch noch zugrunde liegt. Eine Balance zwischen Schul- und Alternativmedizin wäre vielleicht eine Erklärung dafür.

Ein Bauchentscheid

Die Praxis «Hayoz Training & Therapie» gibt es erst seit einem Jahr. Die ausgebildete Physiotherapeutin arbeitete zuletzt in einer Praxis in Bern. Wie entstand ihr Bedürfnis, sich selbstständig zu machen? «Es war ein Bauchentscheid», schmunzelt sie. Auf diesen höre sie immer wieder, wenn sie eine Veränderung in ihrem Leben herbeiführen möchte. «Es ist nicht so, dass ich ‹über Nacht› entscheide und mich gleich ins nächste Abenteuer stürze», relativiert sie ihre Spontanität. Vielmehr lasse sie diese Gedanken, die im Bauch entstehen würden, reifen  und setze ihn irgendwann in die Tat um. «Mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln», ergänzt sie. Das erkläre auch das kleine Studio, das sich im Erdgeschoss ihres Elternhauses befindet.

Es ist nicht so, dass ich ‹über Nacht› entscheide und mich gleich ins nächste Abenteuer stürze.

Julia Hayoz

Ihre Geschäftspartnerin Annabel Hayoz (ohne Verwandtschaftsgrad) ist für den Trainingspart zuständig. Das erste Jahr sei recht gut angelaufen, sagt Julia zufrieden. Sie betreuen neben Privatpersonen auch Leistungssportler. Zum Kundenstamm gehören Spieler des Floorball Fribourg oder des Eishockeyclubs HC Düdingen Bulls. Und seit der Wintersaison 2016 die Freeskier von Swiss-Ski.

Bewegung ist stete Veränderung

Ihr Engagement beim Skiverband entstand eher zufällig. Der Verband suchte Physiotherapeuten für das Skicross- und Freeski-Team. Sie habe die Stellenausschreibung einer Freundin gezeigt. «Letztlich», schmunzelt sie, «habe ich mich dann gemeldet.» War das auch ein Bauchentscheid? «Sozusagen.» Und während sie das sagt, lacht sie wieder übers ganze Gesicht. Ich sehe mit dem geistigen Auge eine Headline auf ihrer Website: «Bewegung bedeutet Freiheit.» Die Bewegung, ergänzt Julia Hayoz, bedeute für sie auch die stete Veränderung. Schon in ihrer frühen Kindheit habe sie den Wunsch gehabt, einmal Ärztin zu werden. Es kam erst einmal anders. Erst nach einer abgeschlossenen Berufslehre entschloss sie sich für eine Ausbildung als Physiotherapeutin, um ihrem Jugendtraum ein bisschen näherzurücken. Die Arbeit im Büro gab ihr vorerst die Freiheit und Selbstständigkeit, war aber nicht das, wie sie sich längerfristig ihre Zukunft vorstellen konnte. «Für eine Veränderung ist es nie zu spät.» Dass sie nun bereits seit zwei Jahren für einen der erfolgreichsten Schweizer Sportverbände tätig sein kann, erfüllt sie mit Freude und auch Stolz.

Grosses  Vertrauensverhältnis  gespürt

Für sie war vieles neu. Julia Hayoz ist sportlich sehr aktiv, aber mit der New School Generation hatte sie bislang wenig gemein. So stand sie im ersten Jahr auch in der Beobachterrolle und spürte bereits die Saison danach ein grosses Vertrauensverhältnis, das sich zwischen ihr, den Athleten und dem gesamten Staff gebildet habe. Die Freeskier sind sehr junge Athleten und alles Individualisten. Viele von ihnen sind «Konvertiten», die vom Alpin zum Freestyle gewechselt haben. «Sie lieben und leben ihren Sport vielleicht auf eine andere Weise.» Sie haben vor allem Leidenschaft. und den nötigen Ehrgeiz vor und während eines Wettkampfs. Das hat Julia Hayoz besonders an den Olympischen Winterspielen gespürt. Die Freeskier träumen ebenso von einer Olympiamedaille wie alle anderen auch. Umso wichtiger sei es gewesen, mit einer möglichst ausgeglichenen Stimmungslage nach Asien zu reisen und diese Stimmung nicht künstlich aufzubauen.

Sie lieben und leben ihren Sport vielleicht auf eine andere Weise.

Julia Hayoz

Da braucht es eine Physiotherapeutin, die im mentalen Bereich ebenso Fingerspitzengefühl hat. Und was war passiert in Südkorea. Auf Erfolge oder zumindest sehr gute Leistungen durften die Freeskier aufgrund ihrer Leistungen im Weltcup hoffen. Es kam noch besser. Sarah Höfflin und Mathilde Gremaud feierten mit Gold und Silber einen Doppelsieg. Ähnliches strebte auch Andri Ragettli an. Er wollte unbedingt eine Olympiamedaille gewinnen, schrieb die NZZ nach dem Wettkampf, den er «nur» als Siebenter abschloss. Entsprechend beschrieb sie seine Gefühle: «In der Interviewzone war Ragettli in Tränen ausgebrochen, man wurde sich in diesem Moment bewusst, was ihm eine Olympiamedaille bedeutete hätte: alles.» (...) Der 19-jährige Freeskier hat noch Zeit, wie er selbst erkennt. Der Ausgang sei für ihn Ansporn für die nächsten vier Jahre, ja sogar für die nächsten acht. Dennoch, drei von vier Männern standen im Final, das ist eine beachtliche Teamleistung.

Junge Sportler mit Ambitionen

Diese Momentaufnahme erklärt die Aussage von Julia Hayoz, die schnell erkannt hat, dass da nicht die «wilde Horde» ungezähmter Individualisten zu bändigen wäre, sondern junge Sportler mit Ambitionen. Bei ihr können die Athleten im Training oder bei den Wettkämpfen, wenn sie ganz nahe beim Team ist, jederzeit anklopfen. «Sie haben aber lernen müssen, die Kräfte des eigenen Körpers einzuteilen und sich mit Eigeninitiative bei mir zu melden, wenn Physiobedarf bestand. Wenn man solange zusammen unterwegs ist, steht man automatisch in engem Kontakt miteinander und versucht den Athleten eine Umgebung zu bieten, wo Bestleistungen möglich werden.» Mit diesem Vorgehen scheint sie bei den Athleten «angekommen zu sein», wie ihr selber scheint.

Neuen Weg eingeschlagen

Und während sie von ihren Wintereinsätzen erzählt und zeitweilig auch schwärmt, verrät sie von ihrem erneuten Bauchgefühl. Ihre bisherigen Erfahrungen im Leben und im Beruf haben ihr einen neuen Weg oder besser gesagt: einen weiteren aufgezeigt.

Ich lerne mindestens so viel von meinen Kunden, wie sie von mir.

Julia Hayoz, Freeski-Physio

Vielleicht ist es sogar das Spiegelbild ihres eigenen Wegs. Auf der Website www.openmint.ch lässt der Intro-Text jedenfalls genau das vermuten: «Es gibt Momente im Leben, in denen man den eigenen Weg suchen, neu definieren oder einfach bestätigen will. Bekanntlich hat das Leben verschiedene Herausforderungen zu bieten: Ausbildungen, Beziehungen, Entscheidungen, Sport, Geburt und Tod sind nur einige davon», (...) steht da. In solchen Situationen möchte sie zusammen mit einer weiteren Geschäftspartnerin Menschen im Kinds- bis Erwachsenenalter «abholen» und entsprechend beraten. Das Projekt legt Julia Hayoz aber nicht im Ordner «Weiterbildungen» ab. Sie hält nicht viel von Diplomen, die im Dutzend an der Wand hängen. Nebst absolvierten Weiterbildungen lerne sie viel in der praktischen Arbeit und beim Bücherlesen. «Ich lerne mindestens so viel von meinen Kunden, wie sie von mir.» Ihre Erfahrungen mit dem Projekt «openmint», denkt sie, bringt sie bei ihrer jetzigen Tätigkeit bei Swiss-Ski und anderen Organisationen ein.

Zeit für sich selbst finden

Was sagt ihr Bauchgefühl als nächstes?, ist man geneigt zu fragen. Sie schaut kurz auf und sagt: «Ich habe eine intensive Zeit hinter mir und musste jetzt erst einmal auftanken.» Im April hat sie ihren normalen Arbeitsrhythmus wieder aufgenommen. Nach ein paar intensiven Wintermonaten müsse man wieder kurz zu sich selbst schauen, sagt sie fast philosophisch. Aber das war nicht die Frage. Die Antwort kommt anders als erwartet. Sie beruft sich auf ihr eigenes Leben, das voll bepackt ist mit Arbeit und Ideen. Es gibt aber trotzdem die Momente des Nichtstun: Mit dem Lesen eines spannenden Buches, beim Wandern, der Musik oder wenn sie einfach die Seele baumeln lässt. Und wenn sie der Ehrgeiz packt, überrascht sie noch mit anderen «Terminen». Zum Beispiel die Durchquerung des Murtensees oder den «100-Kilometer-Lauf» von Biel. Das sind dann durchaus ambitionierte Ziele, die ihr Lebensmotto widerspiegeln: «Carpe diem» – nutze den Tag!

Selbst in solchen Momenten findet sie die Zeit bzw. nimmt sich die nötige Zeit, um sich mit ihr selber auseinanderzusetzen. Entstehen so die Bauchgefühle? Sie schaut zum Gegenüber und besticht mit ihrem vielsagenden Lächeln: «Vielleicht ist das so.»