«Der Schneesport hat wieder richtig stattgefunden»

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Foto: Stephan Bögli

Der vergangene Winter brachte für Swiss-Ski zahlreiche sportliche Highlights, neue sowie bekannte Herausforderungen und erhoffte Entwicklungen. Im Interview äussert sich der Swiss-Ski CEO Bernhard Aregger unter anderem zu den anhaltenden Erfolgen bei den Alpinen und Freestylern, zu den Aufgaben in den nordischen Sportarten, zu den stimmungsvollen Heimweltcups mit Fans und zur ersehnten Rückkehr der Normalität bei den Breitensport- und Nachwuchs-Events.

Alle 15 Medaillen an den Olympischen Spielen in Peking wurden von Kader-Athletinnen und -Athleten von Swiss-Ski gewonnen. Nie war der Skiverband bei Winterspielen erfolgreicher – sowohl was die Gesamtzahl an Medaillen als auch was die Anzahl Goldmedaillen anbelangt. Musstest du dich ab und zu kneifen, um zu realisieren, welch wunderbaren Geschichten im fernen China geschrieben wurden?

Bernhard Aregger: Es war sehr häufig ein schönes Erwachen während den Olympischen Spielen. Die meisten Events, bei denen es Medaillen für unsere Athletinnen und Athleten gab, habe ich live gesehen. Wir wussten, dass wir an vielen Orten Potenzial haben. Wir haben nie eine bestimmte Anzahl Medaillen als Zielsetzung herausgegeben, sondern immer gesagt, dass wir dort eine Medaille gewinnen wollen, wo wir über Potenzial hierfür verfügen. Das ist uns sehr oft gelungen, aber nicht überall. Trotz der gewonnenen Anzahl von 15 Medaillen müssen wir uns die Frage stellen, warum wir es bei Wettkämpfen, wo Podestplätze ebenfalls möglich gewesen wären, nicht geschafft haben. Gesamthaft waren die 16 Olympia-Tage eine hervorragende Zeit.

Fast jeder Schweizer Trumpf, vor allem bei den Alpinen, hat bei Olympia gestochen – am Tag X, als es darauf ankam. Auf was ist dies zurückzuführen?

Wir haben es geschafft, mittels eines gemeinsamen Plans alles mit und für die Athletinnen und Athleten für jenen Tag X parat zu machen. Letztlich stehen die Sportlerinnen und Sportler jedoch alleine am Start. Sie waren bereit und konnten das Maximum herausholen. Ab und an half ein Quäntchen Wettkampfglück mit. Wenn es so aufgeht, muss man nicht alles hinterfragen, sondern einfach Freude haben.

Die Schweizer Alpinen haben mit fünfmal Gold eine weltweit zuvor nie dagewesene Bestmarke bei Olympischen Spielen aufgestellt. Mit Marco Odermatt gewann erstmals nach zwölf Jahren wieder ein Schweizer Skifahrer den Gesamtweltcup bei den Männern. Was stimmt dich zuversichtlich, dass die alpine Erfolgswelle auch in den kommenden Jahren nicht abebbt?

Es gibt zwei Ebenen: Auf der einen Seite haben wir arrivierte Fahrerinnen und Fahrer, die auch in der kommenden Saison am Start stehen werden. Wenn diejenigen unter ihnen, die genau wissen, was es braucht, um schnell Ski zu fahren, in den kommenden Jahren gesund bleiben, dann werden wir auch in Zukunft auf sie zählen können. Zuversichtlich stimmt mich zudem, was auf den unteren Stufen passiert. Im Europacup haben wir die Nationenwertung gewonnen und neun Fixplätze für die nächste Weltcup-Saison herausgefahren. Das sind ganz tolle Zeichen. Und wenn man unsere junge Equipe gesehen hat, die beim Team Event beim Weltcup-Finale im Méribel siegreich war, dann ist das jene erfrischende Generation, die Druck machen kann auf die Arrivierten, die ich zu Beginn erwähnt habe.

Zu den Erfolgsgaranten gehören seit Jahren auch die Ski-Freestyle- und Snowboard-Teams von Swiss-Ski. Zuletzt nicht nur im Weltcup, sondern auch bei den Winterspielen in Peking. Die Heim-Weltmeisterschaften in drei Jahren dürften so ein ganz besonderes Happening werden.

Das ist genau der Grund, warum wir solche Anlässe bei uns in der Schweiz austragen wollen. Wir bewerben uns nicht, nur damit wir sagen können, dass wir eine Ski-Freestyle- und Snowboard-WM durchgeführt haben. Das Ziel ist es, 2025 mit einer tatkräftigen Equipe am Start stehen zu können. Wir wollen vorne mitmischen. Darum gilt es, bei jenen Disziplinen, bei welchen wir zuletzt etwas an Terrain verloren haben, genau hinzuschauen – beim Alpin-Snowboard etwa. Zuletzt bei den Olympischen Spielen hat es dort im Vergleich zu den Vorjahren nicht funktioniert. Im Bereich Big Air und Slopestyle wiederum haben wir Junge, die nachkommen. In den Regionen draussen wird gut gearbeitet. Wir sind aktiv daran, die Nachwuchsfördermechanismen in den Leistungszentren zu überprüfen, um im Hinblick auf die Grossanlässe ab 2025 bis 2030 einen Schritt vorwärts machen zu können und in bestimmten Bereichen die Erfahrungen, die wir mit den Leistungszentren der Alpinen machen konnten, zu transferieren.

Im Telemark ist die Schweiz die alles dominierende Nation – selbst wenn die beste Telemarkerin der Geschichte, Amélie Reymond-Wenger, eine Babypause einlegt. Sämtliche Kristallkugeln gingen an Bastien Dayer und Martina Wyss.

Die Telemark-Equipe verwöhnt uns mit Erfolgen – das hat fast schon Tradition. Es wird dort seit Jahren eine sehr erfrischende Arbeit geleistet, entsprechend verdient es unser Telemark-Team, dass wir es so supporten, damit die Athletinnen und Athleten mit Martina Wyss und Bastien Dayer an der Spitze ihren Sport bestmöglich ausüben können. Gefreut hat mich neben all den Erfolgen, dass wir bei uns zwei Heim-Weltcups durchführen konnten – in Melchsee-Frutt und in Mürren. Im Berner Oberland fanden anlässlich des Weltcups auch noch die Junioren-Weltmeisterschaften statt.

Welche Ursachen wurden für die zuletzt nicht zufriedenstellenden Ergebnisse bei den Nordischen gezogen?

Wir haben in den nordischen Disziplinen in den vergangenen Jahren mehr investiert, wir haben Highlights in die Schweiz geholt wie den erstmaligen Biathlon-Heimweltcup 2023 und die Weltmeisterschaften 2025. Die Ansprüche sind entsprechend hoch. Wir wollen nicht primär zeigen, dass wir solche Anlässe durchführen können, sondern wir wollen an diesen sportlich top sein und Medaillen gewinnen. Es gilt, eine Winner-Mentalität auf allen Ebenen reinzubringen. Wir haben klar kommuniziert, was die Ansprüche sind. Es geht um Leistungssport – nur einfach mitmachen, das genügt nicht. Entsprechend werden wir uns organisieren. Das gilt für alle nordischen Disziplinen.

Du hast den erstmaligen Heimweltcup im Biathlon 2023 in Lenzerheide sowie die Weltmeisterschaften zwei Jahre später erwähnt. Was macht dich zuversichtlich, dass die Schweizer Equipe dann ihr Heimpublikum zu begeistern vermag?

Im Biathlon gibt es nun einen Generationenwechsel. Mit Selina Gasparin und Benjamin Weger haben eine langjährige Leistungsträgerin und ein langjähriger Leistungsträger ihre Karrieren beendet. Es rücken aber einige Namen nach, die sehr positiv aufgefallen sind – etwa Amy Baserga, Niklas Hartweg, Sebastian Stalder oder Laurin Fravi. Wir stehen nun vor einer spannenden Phase. Die Schattenwürfe der ehemaligen Teamleader sind weg, es stellt sich nun vieles neu auf. Wir wollen zudem die Langlauf-Kompetenzen verstärken, auf der anderen Seite müssen wir genügend stark sein im Schiessen und beides zu einer Einheit zusammenfügen.

Neben der Biathlon-WM finden 2025 auch die Weltmeisterschaften im Snowboard und Ski Freestyle in der Schweiz, nämlich im Engadin, statt. Zwei Jahre später sollen die alpinen Ski-Weltmeisterschaften hierzulande ausgetragen werden. Die WM-Vergabe findet Ende Mai anlässlich des FIS-Kongresses statt. Wie schätzt Swiss-Ski die Chancen für die Kandidatur von Crans-Montana aktuell ein?

Bei vier Kandidaten könnte ich jetzt sagen: 25 Prozent (lacht). Bei der FIS wurden die Karten vor einem Jahr neu gemischt. Letztlich sind alles starke Kandidaturen. Die Chance, den Zuschlag mit Crans-Montana zu erhalten, ist sicher gegeben. Wir verfügen über ein starkes Dossier und kandidieren nun bereits zum zweiten Mal. Letztlich gibt es aber eine demokratische Wahl durch die FIS-Council-Mitglieder. Wir werden alles unternehmen, um die wahlberechtigten Personen von Crans-Montana zu überzeugen.

Ich bin optimistisch, dass wir den Schweizer Schneesportfans im kommenden Winter wiederum viel Freude bereiten können.

Bernhard Aregger, CEO von Swiss-Ski

Sämtliche Schweizer Heim-Weltcups konnten im Winter 2021/22 vor Zuschauer und meist bei bestem Wetter ausgetragen werden. Nach dem diesbezüglich verkorksten Winter mit grossem Corona-Einfluss und einigen wetterbedingten Absagen war dies Balsam auf die Schweizer Schneesport-Seele.

Das war unheimlich wichtig. Wir hatten schon im Dezember bei den Weltcups in Graubünden gute Bedingungen, obschon es zu jenem Zeitpunkt nicht so einfach war wegen Corona. Etwas, was mir nachhaltig in Erinnerung bleibt, ist, wie ich in Adelboden ins Stadion gekommen bin und hinter mir waren tausende Leute mit Schweizer Fahnen. Das hat beim einen oder anderen, noch bevor der erste Fahrer gestartet ist, eine Freudenträne ausgelöst – nur schon deshalb, weil man das endlich wieder erleben konnte.

Auch im Nachwuchs- und Breitensport gab es – die Absage des JUSKILA ausgenommen – eine Rückkehr zur Normalität. Wie gross ist die Erleichterung bei Swiss-Ski darüber?

Die Erleichterung ist sehr gross. Während der Saison 2020/21 hatten wir aufgrund der Corona-bedingten Absagen unserer Nachwuchs- und Breitensport-Events die «Challenge 21» ins Leben gerufen. Das war wichtig. Jetzt konnten wir wieder gemeinsam auf den Schnee gehen, Freude vermitteln, Erlebnisse teilen – die Kinder untereinander, aber auch die Familien. Im vergangenen Winter war das Wetter über weite Strecken sehr gut. Wir durften uns über Rekordanmeldungen freuen. Der Schneesport hat immer in irgendeiner Form stattgefunden – nun hat er aber wieder richtig stattgefunden – wie früher, mit sehr vielen Leuten.

Trotzdem war Corona auch im Winter 2021/22 ein steter Begleiter – vor allem für die Athletinnen und Athleten sowie die Betreuer-Teams. Logistisch und administrativ war der Aufwand kaum geringer als in der Vorsaison.

Er war nicht kleiner, ja. Er war aber auch anders. Wir haben aus dem Winter zuvor gelernt, damit umzugehen, insbesondere, was die Abläufe anbelangt. Wir waren insgesamt gelassener, wenn es darum ging, auf veränderte Lagen zu reagieren oder auf behördliche Entscheide zu warten. Das heisst aber nicht, dass der vergangene Winter nicht herausfordernd gewesen ist. Bei den Veranstaltern geht es um grosse Ressourcen und um sehr viel Geld. Letztlich dürfen wir im Nachhinein aber sagen, dass wir die richtigen Entscheide getroffen haben. Nichtsdestotrotz war Corona omnipräsent, vor allem für die Athletinnen und Athleten, die sich ständig testen lassen mussten. Besonders gross waren die Anspannung und Unsicherheit natürlich vor den Olympischen Spielen. Im Weltcup konnten wir leider zu viele Athletinnen und Athleten wegen Corona nicht an den Start gehen lassen.

Mit der abgelaufenen Saison endete auch ein Olympia-Zyklus. Mit welchen Erwartungen und Hoffnungen blickst du dem WM-Winter 2022/23 entgegen?

Wenn unsere Leistungsträgerinnen und Leistungsträger in den verschiedenen Sportarten gesund bleiben, können wir auf die erfolgreiche vergangene Saison aufbauen. Dort, wo wir über Potenzial verfügen, dies aber zuletzt nicht abrufen konnten, gilt es die richtigen Schlüsse zu ziehen. Ich bin überzeugt, dass in der kommenden Saison einige neue Namen intern Druck ausüben werden auf die Arrivierten. Ich freue mich deshalb sehr auf den kommenden Winter und bin optimistisch, dass wir den Schweizer Schneesportfans wiederum viel Freude bereiten können.