Unstoppable – Talina Gantenbein ist inmitten der Weltspitze angekommen

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Image: Keystone-SDA | Talina Gantenbein feierte in Arosa 2020, an ihrem 33. Weltcup-Start, ihren ersten Weltcup-Podestplatz.

Dass die Zahl 8 Talina Gantenbeins Lieblingszahl ist, kommt nicht von ungefähr. Am 18.8.1998 erblickte die Tochter einer Deutschen und eines Schweizers das Licht der Welt. Was das kleine Mädchen damals noch nicht wusste: Rund 20 Jahre später, im Jahr 2018, wird sie als Skicross Jugend-Olympiasiegerin bereits bei den 'Grossen' in PyeongChang an den Start gehen können – und dort mit einem 12. Rang alle und vor allem sich selbst verblüffen. Dass dies der mittlerweile 22-jährigen Engadinerin in der Sportart Skicross widerfuhr, war nicht immer der Plan, wie Gantenbein im Interview verrät.

Talina, du bist im idyllischen Engadiner Dorf Scuol aufgewachsen. Bis zur 6. Klasse bist du dort zur Schule gegangen. Wie ging es dann weiter?

Talina Gantenbein: Ich besuchte in Ftan für zwei Jahre das Hochalpine Institut und beendete dort das 7. und 8. Schuljahr, bevor ich den Wechsel nach Davos ans Sport-Gymnasium in Betracht zog. Also meldete ich mich für die Aufnahmeprüfung an, bestand und zog nach Davos.

Du hast dich damals nicht als Skicrosserin für das Sport-Gymnasium angemeldet.

Richtig, ich war Skirennfahrerin. Eigentlich lief auch alles sehr gut; die Resultate stimmten, ich hatte Freude am Sport, gute Teamkolleginnen. Aber irgendetwas fehlte mir.

Wie hast du das herausgefunden?

Dank einer Freundin kriegte ich von den Sichtungstagen in Saas-Fee mit. Wie der Name schon sagt, werden an diesen Tagen potenzielle Athletinnen und Athleten von den Skicross-Trainern gescoutet. Hier hast du die Chance, einen Platz im Skicross-Team zu ergattern. Also meldete ich mich mit 17 Jahren, im Jahr 2015, an und nahm an den Tagen teil. Das hat mir sofort den Ärmel reingenommen, denn ich war schon als Kind immer interessiert, an anderen, polysportiven Sachen. Ich boxte meinen Willen durch und so wurde der Wechsel von Ski Alpin zu Skicross Tatsache.

Und dann ging es Schlag auf Schlag weiter.

2016 durfte ich bereits an den Youth Olympic Games antreten – und feierte direkt die Goldmedaille. Im Nachhinein betrachtet, war das ein super Einstieg und bestätigte mich auch in meiner Entscheidung des Sportarten-Wechsels.

Du hast deine Entscheidung also nie bereut?

Nein, ich bereue den Wechsel gar nicht. Im selben Jahr als ich Jugend-Olympiasiegerin wurde, beendete ich als Dritte die Europacup-Gesamtwertung, nahm am ersten Weltcup teil und kam dort eine Runde weiter. Es passierten früh motivierende und gute Dinge, die mich in meiner Entscheidung bestätigten. Jeder sah, dass es richtig war, was ich machte, und wie ich mich entschied. Ich bin froh, dass ich damals meinem Gefühl folgte und den Mut hatte, zu wechseln.

Wirft man ein Blick auf deine Biografie sticht das Jahr 2018 besonders heraus. Du hast mit 19 Jahren an deinen ersten Olympischen Spielen in Südkorea den 12. Rang belegt. War das entscheidend?

Ja das war ein wichtiges Jahr. Sportlich gelang mir mit dem 12. Rang ein starkes Rennen an den Olympischen Spielen und ich durfte mit dem Weltcup-Team unterwegs sein – und im schulischen Bereich schloss ich die Handelsschule ab. Danach konzentrierte ich mich im Sommer vor allem auf die Wintervorbereitung und begann, mit den Bündner-Jungs im Rotor in Balzers zu trainieren. Die zwei Trainings pro Tag sowie die stündige Anreise von Davos nach Balzers füllte meinen Tag schon sehr aus.

Seit deinem ersten Weltcup-Podestplatz 2020 in Arosa reitest du auf der Erfolgswelle und bist inmitten der Weltspitze angekommen. In Idre Fjäll konntest du einen weiteren Podestplatz feiern. Gibt es auch die nachdenkliche Talina?

Ich hatte besonders in der vergangenen Saison zu kämpfen, weil ich oft in der Qualifikation hängen blieb. Während meiner Militär-Zeit in Magglingen trainierten wir Entspannungsübungen, was mir enorm viel brachte. Ich kann die Übungen bewusst dann einsetzen, wenn ich sie brauche. Das sind vor allem Situationen vor den Rennen, wenn ich die Ruhe reinbringen muss, die man gut und gerne vor dem hektischen Renntag verliert.

Wie gehst du mit dem öffentlichen Interesse an deiner Person um?

(überlegt) Grundsätzlich bin ich eine aufgeschlossene, kommunikative Person und bin für jeden 'Seich' zu haben. Aber ich mag es nicht, wenn die gesamte Aufmerksamkeit lange auf mich gerichtet ist. So ist es auch im privaten Umfeld; wenn ich meine Freunde sehe, möchte ich nicht immer über den Sport sprechen.

Das Training und die Wettkämpfe taktieren deinen Kalender. Was machst du in deiner Freizeit?

(lacht) Schule! Ich habe im August 2019 die zweijährige Berufsmaturität begonnen und schliesse im Mai ab. Danach könnte ich mir ein Fernstudium vorstellen, aber da habe ich mich noch nicht festgelegt. Auf jeden Fall blicke ich auf lustige Szenen zurück, die ich in den letzten zwei Jahren erlebte: Während den Wettkämpfen bekam mein Trainer, Enrico Vetsch, die Prüfungen zugeschickt und musste mich jeweils während den Prüfungen beaufsichtigen.

Mit Fanny Smith hast du eine der weltbesten Skicrosserin im Training an deiner Seite. Was kannst du von der 27-fachen Weltcupsiegerin lernen?

Vor allem der Austausch vor dem Start ist essenziell wichtig; sprich welche Taktik wendest du an, wie springst du über diesen Doppelsprung. Solche Diskussionen helfen mir enorm und ich kann dadurch viel lernen und profitieren. Speziell vergangenen November in Laax haben wir viel zusammen trainiert. Bei diesem direkten Vergleich merkte ich, dass ich gleich schnell bin wie Fanny, was mir natürlich Sicherheit gab.

Und genau diese Sicherheit konntest du dann in Arosa abrufen, als du zum ersten Mal auf das Weltcup-Podest gefahren bist.

Genau, dort platzte endlich der Knoten. Ich fühlte mich bereit und war perfekt vorbereitet. Ich wusste, dass ich schnell sein kann, wenn alles gut ist. Leider lief das erste Rennen nicht wie gewünscht, aber beim zweiten passte alles zusammen. Das fühlt sich super an, wenn du in einen Flow, einen Tunnel, kommst und es Heat für Heat funktioniert – dann bist du unstoppable und du weisst, dass es heute aufgeht.

Am 13. Februar finden im schwedischen Idre Fjäll die Weltmeisterschaften statt. Für dich wird es die erste Teilnahme an den Titelkämpfen sein. Stimmt das zuversichtlich, dass du an ebendiesem Ort im Januar einen Podestplatz feiern durftest und beim letzten Rennen im grossen Finale mitfahren konntest?

(lacht) Das realisierte ich ebenfalls erst vor Kurzem, dass dies ja meine ersten Weltmeisterschaften sind. Aber ja, das fühlt sich beruhigend an, wenn du weisst, was auf dich zukommt. Du kennst den Ort, die Strecke, das Renngelände, du weisst, wo du wohnst. Das sind alles kleine Dinge, die mir Sicherheit und Zuversicht geben. Denn ich weiss, dass ich diese Strecke gut und vor allem schnell fahren kann. Aufgrund der Topografie kann die Strecke nicht gross verändert werden, vielleicht der Start. Auf jeden Fall musst du einfach Gas geben – vor allem auf der langen Schlussgeraden fallen die Entscheidungen.

Und wo siehst du dich im WM-Schlussklassement?

Du hast nur eine Chance, alles entscheidet sich an einem Tag. Mein Ziel wäre im Minimum ein Ergebnis unter den besten Acht.

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