Auch in der Freizeit am liebsten auf den Ski

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Der 22-jährige Colin Wili aus Appenzell ist Freeskier, der nie genug bekommen kann von seinem Sport. Er steht auch in seiner Freizeit am liebsten auf den Ski.

Die Augen leuchten, wenn er erzählt. Die Liebe für seine Sportart ist spürbar, wenn er sein Handy hervorholt und Videos zeigt. Wie er mit spielerischer Leichtigkeit auf seinen Ski über Geländer rutscht, sogenannte Rails. Wie er danach auf eine Schanze zufährt und mit einer Selbstverständlichkeit einen Dreifachsalto mit vierfacher Schraube in die Luft zaubert. Wie er hoch und weit fliegt, bevor er eine saubere Landung hinlegt.

Die Aktion sieht höchst waghalsig aus, aber für Colin Wili ist sie Teil seiner Arbeit. Der 22-Jährige aus Appenzell sagt mit einem Schmunzeln: «Je verrückter, desto besser.» Freeskier, das ist seine offizielle Berufsbezeichnung. Aber es ist mehr als das, es ist seine Berufung, und das zeichnet sich früh ab. Er ist ein lebhafter Bub, «ich hatte immer schon wahnsinnig viel Energie», sagt er. Sein Ventil ist der Sport, und Wili wagt sich an vieles heran. Er ist ein talentierter Langläufer, spielt Unihockey und Fussball, schwimmt auch gerne, im Freibad reiht er Sprung um Sprung vom Dreimeterbrett. Aber nichts fasziniert ihn so wie Skifahren. Oder eben: Freeskiing, Hindernisse überwinden.

Der klare Plan als Teenager

Die Ebenalp ist sein Terrain. Sobald Schnee liegt, verbringt er dort jede freie Minute, oft wird er von seinem Bruder Thierry begleitet. Aber nur Tempo bolzen oder Slalomschwünge üben, das ist ihnen zu eintönig. Die Freigeister suchen die Herausforderung und sorgen selber dafür, indem sie Schanzen im Tiefschnee bauen. Hindernisse auf artistische Weise überwinden, das reizt sie. Und davon können sie nicht genug bekommen. Im Internet finden sie Sequenzen von Könnern und versuchen, Tricks und Sprünge zu kopieren.

Er will einmal vom Skifahren leben

Als Teenager formuliert Colin Wili ein ehrgeiziges Ziel: Als Freeskier will er eines Tages seinen Lebensunterhalt bestreiten können. Die Eltern reagieren mit leiser Skepsis, sie halten diesen Berufswunsch für zu kühn. Aber ihr Sohn lässt sich nicht von seinem Plan abbringen. Mit 17 verlässt er Appenzell, zieht nach Engelberg und besucht dort die Sportmittelschule. Er findet ideale Bedingungen vor, kann intensiv trainieren und die Ausbildung im Sommer 2019 mit der Matur abschliessen: «Es war ein goldrichtiger Entscheid, nach Engelberg zu gehen.» Ein Abbruch der Schule kam nie infrage: «Dieses Standbein war mir sehr wichtig. Und irgendwann möchte ich ein Studium aufnehmen.»

Wann dieser Zeitpunkt sein wird, darüber macht er sich heute so wenig Gedanken wie über die Fachrichtung: «Ich war mir während der Gymi-Zeit total unschlüssig, ich bin es immer noch, lasse mir aber Zeit.» Priorität hat vorderhand die Karriere als Freeskier, der er mehr oder weniger alles unterordnet. Kaum ein Tag vergeht ohne körperliche Einheit, zu gross ist der Bewegungsdrang: «Ich war noch nie ein Stubenhocker und werde auch nie einer sein.» Sein Winter-Domizil hat er bewusst nach Laax verlegt, um in eigentlich trainingsfreier Zeit doch wieder auf den Ski zu stehen. Meistens dabei sind seine drei Kollegen aus der Wohngemeinschaft, mit denen er seine Leidenschaft teilt.

Er möchte Aussergewöhnliches bieten

Freeskiing vereint die drei Disziplinen Halfpipe, Big Air und Slopestyle. Wili hat sich auf Big Air und Slopestyle spezialisiert, wobei er eine besondere Affinität für Letzteres entwickelt hat. Er bezeichnet sich selber als Tüftler, der sich nie ausruhen will und kann: «Unser Sport wird kontinuierlich anspruchsvoller.» Neue Tricks üben, sich die nächsten Schritte überlegen, spezielle Grabs einstudieren: Wili versucht, sich von der Masse abzuheben und Aussergewöhnliches zu bieten.

Der Athlet vom Skiclub Steinegg feiert schnell Erfolge. 2016 debütiert er mit 18 im Weltcup. 2017 beendet er den Weltcup im Slopestyle als Gesamtdritter und beweist, dass er in die Sphären der Besten vorgestossen ist. Gelernt hat er, dass ganz oben oft Kleinigkeiten entscheiden. Darum legt er Wert auf Detailarbeit, er sagt: «Es gibt meines Erachtens keinen, der alle anderen dominiert. Es gibt etwa 15 Fahrer, die das Potenzial haben, Siege einzufahren.»

In einem normalen Winter lebt er während der Saison von November bis Ende März praktisch nur aus dem Koffer, fliegt für Wettkämpfe nach Neuseeland oder in die USA. Reisestrapazen sind das für ihn nicht. Er mag das Abenteuer, er schätzt es, dass er mit seinen 22 Jahren bereits vieles auf der Welt gesehen hat. Rund 15-mal steht er im Weltcup bei Slopestyle- und Big-Air-Competitions am Start, dazu kommen Events, die nicht von der FIS organisiert werden wie etwa die X-Games in den USA.

Das grosse Ziel: Olympia 2022

«Ich kann mir nichts Aufregenderes vorstellen als das, was ich derzeit tun darf. Ich habe den schönsten Beruf», sagt Wili, der sich aber auch bewusst ist, dass die Verletzungsgefahr nicht gering ist. Mehrmals schon erlitt er einen Daumenbruch, kämpfte mit Schulterproblemen und zog sich einen Innenbandriss im linken Knie zu. Trotzdem fährt bei ihm nie die Angst mit.

Colin Wili, für den der Schweizer Kai Mahler und der Amerikaner Tom Wallisch stets Vorbild waren, hat ein grosses Ziel im Visier: Olympia 2022. Und was soll in Peking herausschauen? «Wieso nicht der Sieg?», fragt er mit einem verschmitzten Lächeln. Sein Glück macht er freilich nicht abhängig von Medaillen. Natürlich strebt er Triumphe an, aber wenn ein Kollege vor ihm klassiert ist, ist er einer der ersten Gratulanten: «In unserer Gruppe herrscht ein toller Teamgeist. Jeder gönnt dem anderen den Erfolg.»