Der geborene Wettkämpfer

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Bilder: Christian Egelmair

Der 20-jährige Skiakrobat Noé Roth kennt kein Nervenflattern vor einem Sprung. Für die Olympischen Spiele 2022 plant er eine Neuheit: den Hurricane.

Manchmal staunt Michel Roth. Er beobachtet Noé, wie er sich seelenruhig auf den Wettkampf vorbereitet, keine Anzeichen von Nervosität verrät und dann springt, als gäbe es kaum etwas Einfacheres auf der Welt. Der 57-jährige Roth ist der Cheftrainer des Schweizer Aerials-Teams, Noé sein Sohn, der es an die Weltspitze gebracht hat.

Dass aus Noé Roth ein Skiakrobat geworden ist, überrascht nicht. Weil er Eltern hat, die diesen Sport im Land mitgeprägt haben und es immer noch tun. Der Vater holte einst zwei Weltcupsiege und wurde Europameister; Mutter Colette holte sich 13 Weltcupsiege und sprang 1998 an den Olympischen Spielen in Nagano zu Bronze – gecoacht von Michel Roth, mit dem sie seit 1986 liiert und seit Sommer 1998 verheiratet ist. Mit einem Schlitten war Noé nicht zu begeistern, er wollte früh schon auf Ski die Hänge herunterfahren. Und wenn sich Papa Roth im Sommer als Trainer im Aerials-Trainingszentrum in Mettmenstetten um Athleten kümmerte, war Noé stets dabei. Als Knirps verbrachte er viele Stunden neben den Wasserschanzen oder auf dem Trampolin. Michel Roth sagt: «Das war seine Welt.»

Alle Werkzeuge vorhanden

Noé Roth liebt die Akrobatik und das Fliegen, bis zu 14 Meter ab Boden wirbelt er durch die Luft, zeigt Salti und Schrauben, bevor er zur Landung ansetzt. Und die muss, so verlangt es der coachende Vater, perfekt sein: «Damit wird ein guter Sprung abgerundet.» Es zahlt sich aus, dass Noé in seiner Jugend turnte. Körperspannung, saubere Haltung, Risikofreudigkeit, ein starkes Orientierungsvermögen während der Rotation, dazu ein natürliches Talent: Der 20-Jährige besitzt alle notwendigen Werkzeuge,
um Grenzen auszuloten und auch welche zu verschieben. Dazu passt auch sein Motto: «No risk, no fun.»

Natürlich hat Roth Ambitionen, natürlich strebt er stets das Optimum an. Aber die Laune lässt er sich nicht so schnell verhageln. Misslingt ihm ein Sprung, gar ein Wettkampf, nimmt er das mit Gelassenheit hin. Den Gesamtweltcup möchte er zum zweiten Mal nach 2020 gewinnen, klar, «aber selbst wenn ich es nicht schaffe, bleibe ich ein glücklicher Mensch».

Als er die obligatorische Schulzeit beendet hatte, wusste er nicht so recht, welche berufliche Richtung er einschlagen sollte. Roth begann eine KV-Lehre, brach sie aber nach einem Jahr ab. «Es war nicht mein Ding, den ganzen Tag am Schreibtisch zu sitzen», sagt er. Die Eltern bedauerten den Entschluss zwar, trugen ihn aber mit. «Schon die Schule war für Noé immer eher ein Muss», sagt Michel Roth, «es ist zwar schade, dass er abgebrochen hat, aber nervös werden Colette und ich deswegen nicht. Wir
haben volles Vertrauen in Noé, und vielleicht ergibt sich auf einmal eine neue berufliche Option.»

Den «Hurricane» in Peking zeigen

Druck ausüben, darauf verzichtet Michel Roth auch im Sport. Das gilt speziell in der Phase, in der Noé daran ist, am «Hurricane» zu feilen. Full-Triple-Full-Full heisst der Sprung in der Fachsprache, übersetzt: drei Saltos und fünf Schrauben. Damit will er an den Olympischen Winterspielen 2022 in Peking brillieren. Im Training funktioniert die Umsetzung bereits sehr gut, aber ein breites Publikum soll ihn erst im nächsten Winter zu sehen bekommen. «Noé merkt selber, wie weit er jeweils gehen kann», sagt Michel Roth, «als Coach kann ich ihm nur Tipps geben, aber nicht von ihm verlangen, den Hurricane ständig zu zeigen.»

Das Vertrauen, dass Noé den Sprung am Tag X hinbekommt, ist gross – nicht nur bei den Eltern, sondern auch bei ihm selber. «Oft ist es so, dass es mir im Wettkampf besser läuft als im Training», sagt er, «aber ich habe keine Ahnung, woher ich diese Qualität habe.» Er mag den Nervenkitzel als Skiakrobat, er mag aber auch Sportarten wie Skaten oder Surfen, und er turnt immer noch gern auf dem Trampolin: «Es darf ein bisschen verrückt sein.»

Im Wohnzimmer der Roths in Baar war während Jahren die Kristallkugel ausgestellt, die einst Colette Roth – damals noch als Colette Brand – für den Gewinn des Gesamtweltcups erhalten hatte. Noé sagte oft: «Ich werde die gleiche Kugel auch gewinnen, und dann gehört dieser Platz ihr.» Ende der vergangenen Saison war es soweit.
Kein Problem ist die Zusammenarbeit mit dem Vater, der als Coach eigentlich sein Chef ist. Die beiden trennen Sport und Privates auf einfache Weise. «Im Training ist er für mich wie für die anderen Athleten der Misch», sagt Noé, «danach nenne ich ihn wieder Papi. Reibereien kennen wir zwei nicht.» Als Duo haben sie es an die Spitze der Weltelite gebracht. Jetzt geht es darum, sich konstant auf diesem Niveau zu bestätigen. Was wiederum eine happige Herausforderung ist. Wie sagt doch Michel Roth: «Sich ganz oben auf Dauer zu behaupten ist schwieriger, als ganz nach oben zu gelangen.»

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